Kurzkritik:Ich, ich, ich

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Sting in der Olympiahalle: Rock-Entertainment mit Wehmut

Von Ralf Dombrowski, München

Sting wird sentimental. Man merkt es an vielen Details seines Konzertes. Da ist zum Beispiel die Sache mit der Familie. Natürlich ist es legitim, wenn ein Vater seinen Sohn als designierten Nachfolger des Unternehmens der Öffentlichkeit vorstellt. Es wirkt aber auch ein bisschen gönnerhaft, wenn der Knabe nicht ganz das Talent des Erzeugers geerbt hat. Joe Sumner wird seinen Weg wohl gehen, die Stimme ähnelt sehr dem väterlichen Vorbild, die Gestaltung des Gesangs ebenfalls bis hinein in die Details von Phrasierung und Tonformung. Aber er hat eben nicht "Message In A Bottle" geschrieben, sondern bislang nur weitgehend konventionelle Lieder, wie sie zur Zeit in der florierenden Songwriter-Szene Standard sind. Und er bleibt nicht der einzige Erbfolger des Abends, denn auch Rufus Miller darf als Spross von Stings Gitarrist Dominic sich als Doppelung des Instruments beteiligen, ähnlich wie Joe Sumner eingebettet in ein künstlerisches System, dessen Hierarchie klar festgelegt ist.

Dann ist da die Sache mit dem Repertoire. Sting nimmt nicht einen Police-Oldie ins Programm, sondern bestreitet etwa zwei Drittel des Abends mit Stücken von anno dazumal, zum Teil medleyhaft verknüpft und ohne komplizierte Ausflüge in ausgefallene Arrangements. Das freut die Classic-Rock-Hörer in der Olympiahalle, lässt aber auch den harmonisch störrischen Andy Summers und den rhythmisch hibbeligen Stewart Copeland vermissen, deren starke Persönlichkeiten Stings Ego ein paar kreative Jahre lang in Schach hielten. Die Botschaft ist klar: Sting war die Stimme von Police, hat viele von deren Hymnen geschrieben und ist deshalb der rechtmäßige künstlerischer Statthalter der wegweisenden Band der frühen Achtziger. Besonders deutlich vermittelt Sting diesen Anspruch in der Zugabe, wo er, seine Karriere umarmend, den ersten Song des Police-Debüts ("Next To You") mit dem ersten Lied seines aktuellen Werks ("I Can't Stop Thinking About You") fusioniert und dem größten Hit von einst ("Every Breath You Take") abbindet, noch von einem kurzen "Fragile" gefolgt, seiner bekanntesten Solo-Ballade.

Bei allem Understatement von der auf wenige Lichteffekte reduzierten Lightshow über die wirkungsvoll knappen Arrangements bis zur T-Shirt-Bandoptik im Working-Class-Heroe-Stil wird klar, dass hier jemand "Ich, ich, ich!" sagt. Da Sting das sehr überzeugend und musikalisch hochprofessionell kann, erlebt das Publikum eine Vorzeigeshow des Rock-Entertainments. Aber es ist eben auch das Statement eines insgeheim wehmütigen Charismatikers, der zurück blickt, nicht nach vorne.

© SZ vom 21.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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