Kurzkritik:Hübsche Sachen

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Sind "The Pretty Things" die besseren "Stones"?

Von Dirk Wagner, München

Ein bisschen Muddy Waters, ein bisschen Willie Dixon und ganz viel Bo Diddley, fertig ist das Rock'n'Roll-Fundament, auf welchem die Pretty Things im Strom ihre eigenen Hits entfalten. Schließlich war die Geschichte der 1963 gegründeten englischen Band schon immer mit jenen US-amerikanischen Blueslegenden verbunden, die britische Musiker damals für sich entdeckten. Tatsächlich eröffnete dies übrigens einigen der Blueslegenden nicht nur einen internationalen Markt. Es bewahrte sie sogar vor der beginnenden Vergessenheit, wofür sich Chuck Berry 1964 übrigens schon mit dem Album "St. Louis To Liverpool" stellvertretend bei den Beatles bedankte.

Bands wie den Pretty Things, deren Gitarrist Dick Taylor auch in der Urformation der Rolling Stones mitgespielt hatte, verhalf solche Rückbesinnung auf den schwarzen Ursprung des Rock'n'Roll zur immer noch spürbaren härtesten Spielart jener damals aufkeimenden Popkultur. Als die hübschen Dinger dann aber ihren blues-inspirierten Sound psychedelisierten und mit "SF Sorrow" 1968 das vielleicht erste Konzeptalbum der Rockmusik schufen, verweigerten viele Fans den Wandel der einst härtesten Band der Welt. Ein halbes Jahrhundert später fügen sich die Songs von "SF Sorrow" nahtlos ins von Rhythm and Blues dominierte Live Set der jung gebliebenen Pretties ein. Zum einen sind mittlerweile genügend Zuschauer gekommen, die die Band gerade wegen dieses Albums schätzen. Zum anderen sorgt der Ausflug ins Psychedelische für eine Entspannung, bevor die alten Rocker mit ihrer verjüngten Rhythmus-Sektion wieder zu den raueren Quellen ihres Sounds zurückkehren und mit einem bislang unveröffentlichten "Blues For Robert Johnson" einem weiteren Held der Rockgeschichte gedenken.

Weil die Stones, mit denen die Pretty Things in den Sechzigerjahren auch wegen der gemeinsamen Vergangenheit konkurrierten, in ihren Stadien-Konzerten niemals so konsequent zu ihren Ursprüngen zurückkehren dürfen wie hier der Sänger Phil May und Gitarrist Dick Taylor, ist man an diesem Abend leicht versucht, die Pretty Things nun doch endlich als die besseren Stones zu bestätigen. Das wäre allerdings unfair - gegenüber beiden Formationen.

© SZ vom 04.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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