Kurzkritik:Grimmig

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Das TamS lädt zu einer 100-minütigen Märchenstunde

Von Petra Hallmayer, München

Überbevölkerung, Unterernährung, Krieg und Chaos - heute sollen wir das einmal vergessen. "Sie sind in Sicherheit", erklären uns die Schauspieler, ehe sie die Saaltür vernageln und ein Kreuz aufhängen. Zu einer 100-minütigen Märchenstunde lädt das TamS unter dem Titel "Grimm - Lasst uns flüchten, zum Beispiel in den deutschen Wald". Dort jedoch geht es alles andere als friedlich und kuschelig zu, kann man gründlich das Fürchten lernen. Jakob Fedlers Inszenierung präsentiert die alptraumfinsteren Angstbilder, sadistischen Rachefantasien und grausamen Lehren einer christlich schwarzen Pädagogik in der Sammlung der Gebrüder. Um nicht vom Teufel geholt zu werden, hackt der Vater seiner Tochter die Hände ab. Die Mutter schlägt mit der Rute auf das Ärmchen ihres "eigensinnigen" Kindes ein, damit es brav im Grabe liegen bleibt.

Fedler hat die Splattermomente lustig übersetzt: Ein Hackebeil saust auf ein Brett, während daneben der Enthauptete den Kopf vornüber kippen lässt. Konterkariert wird das grausige Geschehen durch das fröhlich klamaukige Spiel der vier trashig kunterbunt kostümierten Schauspieler. Sie krächzen, grunzen, gurren und trillieren, dass es eine Freude ist. Just nachdem sie versucht hat, Schneewittchen (Sophie Wendt) zu ermorden, macht die böse Königin (Axel Röhrle) im Hinausgehen kehrt und stapft als singender Zwerg zurück. Rund um eine "Schneewittchen"-Version in Fortsetzungen hat Jakob Fedler über ein Dutzend Märchen gesampelt von "Der Räuberbräutigam" bis zu "Wie Kinder Schlachtens miteinander gespielt haben". Bis auf kleine Gags, wenn etwa der Freier Hans (Lorenz Seib) papageienhaft betont, er käme aus Hannover, hält sich die Aufführung dicht an die Vorlagen. Manches hätte man etwas straffen können, zumeist aber wird man gut und gewitzt unterhalten. In dem fabelhaften TamS-Ensemble findet sich mit Tobias Schormann, der als toller Erzähler glänzt und hinreißend die kluge Else mimt, ein frisches Gesicht, das man gerne wiedersehen würde.

Ein Happy-End gibt es für keinen an diesem Abend, der mit einer bedrohlichen Collage aus deutschen Sprichwörtern und Märchenzitaten ausklingt. Nicht mal Schneewittchen kriegt einen Prinzen (noch bis 27. Juli).

© SZ vom 20.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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