Kurzkritik:Grelle Glut

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Kent Nagano und die Münchner Philharmoniker

Von Klaus P. Richter, München

Der große Pan ist nicht tot. Langsam erwacht er aus einer dunklen Klanglandschaft, in der geisterhaftes Trommelgemurmel und unterirdische Fagotte einen Urzustand der Weltschöpfung malen, bis dann aus der vegetativen Starre das erste Posaunensolo von hellem Lebenswillen kündet. Bald kündigen drängende Marschrhythmen eine Weltentstehungsreise in den Bacchuszug eines flirrenden Sommers an. Kent Nagano, zu Gast bei den Münchner Philharmonikern, erweckt den alten Gott mit strategischer Intensität und Raffinesse nach und nach aus dunklem Glimmen zu greller Glut.

Schon zuvor, bezeichnend für Gustav Mahlers stets präsentes Verkündigungsethos, stand der Weckruf eines Hornsignals: die Devise für den ersten Teil seiner Sinfonie Nr. 3 d-Moll. Dort unternimmt er nach der eschatologischen zweiten Sinfonie eine kosmologische Weltwanderung. Inspiriert von Nietzsche, Schopenhauer und dem Dichterfreund Siegfried Lipiner wird es eine Evolutionserzählung des Seienden vom Pflanzenreich bis zu den Engeln. Die Titel der sechs Sätze im Partiturautograf enthüllen sie als sinfonische Programmmusik: "Was mir die Blumen auf der Wiese erzählen. Was mir die Thiere im Walde erzählen. Was mir der Mensch erzählt. Was mir die Engel erzählen..."

In der unbekümmerten Blumenwelt des zweiten Satzes mit Menuett und scherzoartigem Trio befreit Nagano schweres Bläserkolorit zu kammermusikalischer Leichtigkeit. Auch im dritten Satz tönt er hochpoetische Posthornepisoden und den unvermeidlichen Mahlerschen Weltschmerz mit feiner Delikatesse ab. Er trifft als kundiger Adept von Olivier Messiaen auch das bukolische Klangkaleidoskop der Naturlaute und lässt sich, präzise jeden Einsatz gebend, in die deftigen Polka-Turbulenzen ein.

Alle Theatralik tritt vor der magischen Überweltstimmung zurück, wenn Elisabeth Kulmann mit dem auratischen Zauber ihrer Altstimme das "Misterioso" von Nietzsches Mitternachtslied aus "Zarathustra" beschwört. In der Erzählung von den "Engeln" kommen der leuchtende Frauenchor des Philharmonischen Chores, die Augsburger Domsingknaben und ein um Harmlosigkeit bemühtes Glockenspiel dazu. Die Schlussapotheose aber gehört der "Liebe". Mahler empfindet die "himmlische" als überirdischen Adagio-Frieden. Kaum weniger himmlisch war das Spiel der Philharmoniker.

© SZ vom 05.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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