Kurzkritik:Grandios

Lesezeit: 1 min

Tosca und Cavaradossi: Anja Harteros und Jonas Kaufmann, in Liebe vereint, im Tod verbunden. (Foto: Wilfried Hösl)

"Tosca" an der Staatsoper

Von Egbert Tholl, München

Selbst für Festspielverhältnisse ist dies ein denkwürdiger Abend. Am Ende wird nach einer Viertelstunde Applaus das gesamte Publikum stehen. Und das, obwohl es gerade zweieinhalb Stunden lang in die dumme und fade Inszenierung von Luc Bondy hineingestarrt hat. Aber spielt diese hier überhaupt die geringste Rolle? Nein. Entscheidend bei der kleinen "Tosca"-Serie der Münchner Opernfestspiele sind allein Kirill Petrenko, Anja Harteros, Jonas Kaufmann und Bryn Terfel.

Es beginnt mit dem sehr seltenen Kunststück, dass Anja Harteros der ja an sich reichlich blödsinnigen Eifersucht der Tosca im ersten Akt eine vibrierende Erotik abgewinnen kann. Harteros und Kaufmann spielen hinreißend, in inniger Liebe vereint, mit einer Lebendigkeit und Natürlichkeit, die jede Opernkonvention durchbricht. Der zweite Akt lebt von einem virilen Bryn Terfel, dessen Scarpia ein über die Maßen brillantes Dreckschwein ist. Daneben rührt Harteros' "Vissi d'arte" einen zu Tränen in seiner Wahrhaftigkeit. Von Jahr zu Jahr nimmt die emotionale Wucht dieser Sängerin zu. Wo soll das noch enden? Es ist ein Phänomen, dem beizuwohnen reines Glück ist.

Im dritten Akt gibt es den einzigen winzigen Anlass, dem Dirigat von Kirill Petrenko nicht die allergrößte Großartigkeit zuzusprechen. Kaufmann experimentiert zu Beginn der "Lucevan le stelle"-Arie mit einem geradezu abenteuerlichen, hinreißenden Pianissimo, das droht, in den sehr präsenten Soli aus dem Graben zu verschwinden. Nach der ersten Strophe ist dieser Eindruck verschwunden, er hallt nach wie eine an diesem Abend kaum vorstellbare Irritation. Denn alles andere ist so herrlich plastisch, so instinktiv richtig, dass dieses tausendmal gehörte Stück zu ganz neuem Leben erwacht. Petrenkos Dirigat, sein Gespür für die Details und Nuancen der Partitur, verschmilzt mit dem Gesang und dem Spiel der Drei. Da ist im ersten Akt wissender Witz um die Liebe, da entwickelt sich danach ein hochspannender Roman des Hörens. Schade, dass es dann doch irgendwann aus ist. Aber bitte: Genau in der Konstellation wiederholen, liebe Bayerische Staatsoper.

© SZ vom 01.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: