Kurzkritik:Gaudi in Bellevue

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Barbara Kuster glänzt zwischen Kabarett und Lied

Von Oliver Hochkeppel, München

Da war sie also, die Bundespräsidentin in spe, und dankte bei ihrer "Wahlkampfauftaktveranstaltung" in der Lach- und Schießgesellschaft den anwesenden "Ortsgruppenmitgliedern". Barbara Kuster, die "Eiserne Lady" (so auch ihr Programmtitel) aus Potsdam, stellte sich gleich selbstbewusst mit dem Lied "Auf mich hat man lange gewartet" vor und präsentierte sich als logische Lösung: Die "optimistischen Geschichtsphilosophen wie Marx, Engels oder Pfarrer Fliege" seien ja alle weg, und der Joachim Gauck sei zwar "ein netter Kerl", versetze aber alle mit seiner pastoralen Bräsigkeit in Lähmung. Nein, jetzt seien ihre preußische Tugenden gefragt.

Daraus entwickelte sie fortan ein unterhaltsames, amüsantes und kluges Spiel mit den Klischees, vom Gefälle zwischen Nord und Süd oder Arm und Reich über die seltsame Lust an Paraden und roten Teppichen bis zum von der Näherin zu ihrer Assistentin aufgestiegenen "Täubchen" aus Bangladesch ("Shiva ist mein ganzes Glück"). Eine absurde Antrittsrede erklang umso mitreißender zu Brahms, als Leitsatz wurde "Hüpf, hüpf, Häschen in der Grube" auf seine politische Relevanz hin durchdekliniert und Fettleibigkeit als Chance für die Energiewende proklamiert, schließlich führte der Weg ins dem scheußlichen Kanzleramt ("da macht sogar die Spree einen Bogen drum") vorzuziehende Schloss Bellevue (bei dem sie immer das zweite E aufreizend betont) zu einem Auftritt beim Eurovision Song Contest.

Denn Singen, das kann sie wirklich. Wann immer es ein bisschen arg abschweift, dann haut es die studierte Musikerin Kuster - einst mit prominenten DDR-Bands unterwegs - mit ihrer umwerfenden Stimme wieder raus. Eine Tina-Turner-Parodie ist Pflicht in jedem Programm, aber auch klassisches Kunstlied oder Schlagerartiges weiß sie gezielt einzusetzen. Im Kern ist das alles also höchst unpolitisch und läuft auf ihr finales Geständnis hinaus: "Auch mit mir im Amt würde sich nicht viel ändern - aber sie hätten mehr Spaß." Was sie in der Zugabe mit einem grandiosen Liebeslied an Wladimir Putin unterstrich. Das stammt schon aus dem neuen, bald fertigen Programm, für das man ihr mehr Wahlvolk ins Lokal wünschen möchte.

© SZ vom 16.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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