Kurzkritik:Design mit Inhalt

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Bryan Ferry ist noch immer der perfekte Rock-Dandy

Von Christian Jooß-Bernau, München

Den schärfsten Kritikpunkt gleich zu Beginn: Soweit man das aus der Ferne beurteilen kann, sitzt Bryan Ferrys Jackett an den Schultern etwas schlabbrig. Muss denn das sein? Die Frisur dagegen: top. Locker aufgewuschelt, ohne zu jugendlich zu wirken. Aber eigentlich ist das Image ja dann am rundesten, wenn es sich, wie bei diesem lässig Lächelnden, so ganz nebenbei ergibt. Nachdem man davor durch das aufgesetzte Divengetue von Femme Schmidt musste, ist man gottfroh, wenn der letzte Pop-Dandy mit dem Titelsong des aktuellen Albums "Avonmore" zeigt, wie man Schöpfungsgeschichte, Endzeitstimmung und Schwerenötertum in einem unaufhaltsamen Retrodisco-Sound so zusammenmischt, dass einem der dampfige Circus Krone mit seinen Kronleuchtern als der beste aller Konzertsäle erscheint. "Driving Me Wild", "Slave To Love" - an der Liebe so vollendet leiden zu können, ist eines der Dinge, die Ferry der Pop-Musik hinterlassen wird.

Der vierte Song des Sets ist "Ladytron", eine Nummer, die 1972 dem Roxy-Music-Debüt den mattschwarzen Glanz gab und heute noch mit ihrem tierischen Drang zu Lärm und Furor Sehnsucht nach Pop auslöst, der Design mit Inhalt verbindet. Bryan Ferry hat als Sänger die Sensibilität, eine Idee Klang werden zu lassen: Wie er Bob Dylans "Don't Think Twice, It's All Right" singt und dabei in jeder Phrasierung den Text klar scheinen lässt, ist umwerfend. Umso mehr, als sich langsam das Alter auch über seine Stimme senkt. So, wie die Kraft schwindet, tritt allerdings der Ausdruck stärker hervor.

Der zweite Teil des Sets ist Hunderte Male gespielte Hitroutine, aus der "Avalon" kraft seiner Songidee immer noch herausragt und natürlich der "Jealous Guy", der Song, den Lennon irgendwie nie von Ferry zurückbekommen hat, weil er sich bei dem einfach wohler fühlte. Die Backgroundsängerin und ihr Kollege haben durchgehend bezaubernde kleine Choreografien - die für sich allein Orchideenblüten in diesem Soul für Menschen von Gestern sind. Was bleibt ist "Bête Noire", Discodekadenz mit orientalischer Exotik, die so heute nicht mehr möglich wäre. Was eigentlich hindert einen daran, die Welt nur so zu sehen, wie sie im Spiegel eines Nachtclubs reflektiert wird?

© SZ vom 16.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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