Kurzkritik:Berührend

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Bachs Matthäuspassion in der Philharmonie

Von Barbara Doll, München

Es gibt die unterschiedlichsten Orte und Arten, um über die Karfreitags-Liturgie zu meditieren. Eine Möglichkeit ist der säkularisierte Kirchgang in die Philharmonie zu Bachs Matthäuspassion, wo es zudem weiche Sitzpolster und Lachshäppchen gibt. Spätestens hier kann die geistliche Konkurrenz nicht mehr mithalten, zumal auch das Ensemble zur Vergegenwärtigung der Leidensgeschichte hochkarätiger besetzt ist.

Vom Eingangschoral an tief berührend ist die Matthäuspassion, die Hansjörg Albrecht mit seinem Münchner Bach-Chor, dem Münchner Bach-Orchester und dem Bach Collegium München bietet. In den kompakten, abgerundeten Chorklang hinein zünden Cembalo (Hansjörg Albrecht) und Theorbe (Christoph Eglhuber) perkussive Akzente und spannen dabei den Kontrast auf, den Albrecht immer wieder herausstellt: die Härte des äußeren Geschehens einerseits, das innere Mitfühlen andererseits. Anstelle von Evangelist und Continuo hat er Christus ins Zentrum gerückt: Bassist Klaus Häger steht erhöht auf einem Podest. Stimmig erscheint dies nicht. Häger gewinnt erst mit zunehmender Dramatik der Geschichte an Eindringlichkeit, während Tenor Martin Platz zu seiner Rechten trotz dezenter Erscheinung als Evangelist dominiert. Er bewegt sich sicher zwischen Zurücknahme und Steigerung, füllt die Rolle mit Empathie, gestaltet die Rezitative fein und präzis.

Nicht nur der Chor bringt das Wort als Träger der Leidensgeschichte präzis zum Ausdruck, auch das Orchester lässt Albrecht mit musikalischer Rhetorik den Text ausdeuten. Die letzte Stufe der dramatischen Zuspitzung reizt er dabei nicht aus. Während Sopranistin Catalina Bertucci mit innerer Ruhe, Weichheit und glühendem Timbre beglückt, wäre bei Altistin Anne-Carolyn Schlüter eine innigere, flüssigere Phrasierung schön gewesen. Manuel Kundinger überzeugt mit geschmeidigem Bass; Tenor Patrik Reiter bringt helles Helden-Timbre in die Matthäuspassion, die ja nicht zu Unrecht auch als dramatische Barockoper gilt.

© SZ vom 03.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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