Kurzkritik:Angstgefühle

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Die BR-Symphoniker spielen Bernstein

Von Rita Argauer, München

Leonard Bernstein würde im August seinen 100. Geburtstag feiern. Damit haben Orchester und Veranstalter endlich einen Grund, dessen Werke in ihre Programme zu hieven. Da Bernstein weit mehr komponiert hat, als seine Mitsing-Klassiker vom Broadway ist das spannend. Denn in seiner ernsten Symphonik liegt zum Teil eine Klangsprache, die sich sehr von der Tradition der europäischen Klassik unterscheidet. Und auch, wenn das Wort "ernst" hier die Unterhaltungsschiene unnötig herabwürdigt, ist es durchaus passend für Bernsteins zweite Symphonie "The Age of Anxiety", die das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks nun unter der Leitung von Antonio Pappano und mit einem exzellenten Kirill Gerstein am Flügel aufführt.

Benannt und komponiert nach Wystan Hugh Audens gleichnamigem Gedicht, spannt sich diese Musik im "Zeitalter der Angst" zwischen Bedrohung, Existenznot und dem Ausweg der Menschen in rauschhafte Abendunterhaltung auf. Ein solches Lebensgefühl hatten die Menschen wohl nicht nur zur Entstehungszeit dieser Musik, die 1949 uraufgeführt wurde, sondern das macht sich zunehmend - mal gerechtfertigt und mal aus Dramatisierung - auch heute wieder breit.

Bernsteins Musik trifft dieses Spannungsfeld präzise. Der erste Teil, Variationen über ein archaisches Thema, bereitet düstere Dramatik. Vor allem in der Interpretation Pappanos, der die einzelnen Phrasen und Module der Musik umsichtig von einander absetzt. Das Orchester musiziert das gewohnt differenziert, wenn auch vielleicht beinahe etwas zu akademisch. Das löst sich dann im zweiten Teil, dessen Mittelsatz ein Jazz-Trio aus Schlagzeugset, Klavier und Kontrabass bildet. Hervorragend groovend, jedoch mit dem bitteren Nachgeschmack, der von Teil Eins übrig blieb. Rachmaninows zweite Symphonie, seine konservativste, wirkt im Anschluss zwar perfektionistisch komponiert und ebenso gespielt. Doch auch seltsam museal.

© SZ vom 16.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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