Kurzkritik:Angstfrei

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Die Schweizer Musikerin Sophie Hunger begeistert in der Alten Kongresshalle - und trifft auf ein Publikum, das dies auch unbedingt will, der diffusen Angst zum Trotz

Von Martin Pfnür, München

Es ist ja nicht so, als wäre dieses Konzert das erste nach dem Irrsinn in der Pariser Konzerthalle Bataclan, das erste nach diesem dunklen 13. November gewesen. Und doch lag, exakt eine Woche später, eine Bedeutung, eine Stimmung, eine Intensität in der Luft der Alten Kongresshalle, die sich förmlich mit Händen greifen ließ. Da war Trotz im besten Sinne. Da war ein kollektiver Behauptungswille gegen die diffuse Angst. Da war ein Maximum an Begeisterungsfähigkeit, das sich bereits beim Support-Auftritt des kanadischen Songwriters Mark Berube auf lautstarke Weise Bahn brach.

Zu tun hatte das natürlich auch mit Sophie Hunger. Ist die schweizerische Musikerin doch - in ihrem Schaffen ebenso wie in ihrer Persönlichkeit - zweifellos so etwas wie eine Vorzeige-Europäerin. Aufgewachsen als Diplomatentochter in Bern, Bonn und London, schreibt sie ihre Stücke auf englisch, deutsch, französisch und schwyzerdütsch, ihre Bandmitglieder kommen aus Frankreich, Belgien und der Schweiz.

Grenzenlosigkeit und Internationalität - das strahlt diese Musik aus, wenn Hunger durch Genres wie Rock, Blues, Jazz oder dem Chanson wandelt, großen Pop daraus schöpft und in ihren Texten nicht selten auch Politisches transportiert.

"Freiheit ist das neue Gefängnis", singt sie etwa in "Das Neue", einer schrägen Dystopie, die sich in der Alten Kongresshalle als anklagender Widerhaken von einem Song neu entpuppte. Da hatte die Frau in schwarz dieses Konzert mit ihrer vierköpfigen Band bereits in ein Fest des Trosts und der Solidarität verwandelt; hatte die Energie, die ihr vom Beginn ihres Auftritts an aus dem Publikum entgegen stob, mit einem schwyzerdütschen A-Cappella-Intro, mit bezirzend tröpfelnden Gitarrenarpeggios ("Supermoon"), mit einem tausend Tränen tiefen, von Flügelhorn und Klarinette veredelten Noir-Désir-Cover ("Le Vent Nous Portera") immer weiter multipliziert. "Das Neue" ließ sie in einen gewaltigen Jam münden, man hatte das Gefühl, als würden böse Geister ausgetrieben.

"Es ist nicht unsere beste Zeit", sagte Sophie Hunger irgendwann nach den ersten paar Stücken. Für die Länge eines Konzerts ließ sie diesen Umstand glatt vergessen.

© SZ vom 23.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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