Kurzkritik:Alles Leid der Welt

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Der Bariton Andrè Schuen im Münchner Funkhaus

Von Klaus Kalchschmid, München

Andrè Schuen hatte sich für seinen ersten großen Liederabend in München nicht Robert Schumanns viel gesungene "Dichterliebe" ausgesucht, sondern neben dessen großartigen "Kerner-Liedern" op. 35 die Andersen-Vertonungen op. 40 und die Lenau-Lieder op. 90 - sowie wundersam schlichte, Nacht, Sterne und Mond preisende, aus vierstimmigem Satz auf Bariton und Klavier übertragene Volkslieder aus Schuens Heimat, dem ladinischen Tal La Val in Südtirol.

Die zwölf Vertonungen von Gedichten Justinus Kerners mischen Stimmungen jeglicher Couleur von sinnlich das Leben bejahend bis toddunkel dieses verachtend, mal ganz schlicht und ohne Nachspiel vertont, mal mit dem Klavier als eigener, kommentierender Stimme, die auch den Worten des lyrischen Ichs widersprechen kann. Der 33-jährige Bariton sang an der Seite des ungemein plastisch mitgestaltenden Gerold Huber einerseits eminent natürlich, andererseits mit vielen, auch fahlen Farben, die von tief düster männlich bis zur femininen Kopfstimme reichten, als er die wörtliche Rede einer Nonne artikulierte, die seine heimliche Geliebte war.

Schuen besitzt ein eigenes, unverwechselbares Timbre, das ein wenig von seiner Dialektfärbung geprägt ist und auch in der Höhe kernig klingt. Wenn vom Schmerz die Rede ist, die sich einer in der Nacht von der Seele weint, dann singt Schuen "Schmerz", als wollte er alles Leid der Welt niederringen, so wie er auch Andersens "Der Soldat", in dem ein Mann den einzig geliebten Kameraden erschießen muss, mit der Wut des Überlebenden beinahe herausschreit.

Der Trost in der Natur angesichts der von Menschen zugefügten "Todeswunden", oder die Seligkeit, Gefühle in einem Lied aussingen zu dürfen, verklingen dafür im verhaltenen Piano, wie auch die großen, tröstlichen Bögen des "Requiem" am Ende von op. 90 wunderbar phrasiert waren. "Hier in diesen erdbeklommnen Lüften" aus Robert Schumanns op. 25 war dann der Dank für den überaus herzlichen Applaus.

© SZ vom 23.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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