Kurzkritik:Alles fließt

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Valery Gergiev und das Mariinsky-Orchester im Gasteig

Von Rita Argauer, München

Die Philharmonie im Gasteig ist Valery Gergiev nicht unbekannt. Und auch das Mariinsky-Orchester aus Sankt Petersburg, dessen Chef er neben den Münchner Philharmonikern auch ist, kennt diesen Saal gut von Gergievs zahlreichen Austauschprogrammen. Wenn Gergiev nun mit den Petersburgern in der Philharmonie auftritt, hat er einen großen Bonus: Er kennt die Akustik dieses Saals.

Also hat er das Orchester ein ganzes Stück von der Rampe nach hinten versetzt. Schon die Bratschen stehen auf kleinen Podesten und die Musiker staffeln sich kompakt in die Höhe, was zu einem für diesen Raum, in dem der Klang meist als mal mehr oder weniger differenzierte Masse über den Zuschauern hinweg schwebt, zu einem ungewöhnlichen Erlebnis führt: Die Musik wird plastisch, ja räumlich aufgespalten, ohne dadurch an Kraft zu verlieren. Hinzu kommt ein Programm, das spröde mit Messiaens "L'Ascension" beginnt. Ein Bläserchoral zu Beginn, schön differenziert zwischen grellem Forte und schwellender Wärme. Satz für Satz kommen mehr Stimmgruppen dazu, umgarnen strahlende Dur-Akkorde und finden sich in verlorener Disharmonie. Gergiev sortiert das in blühenden Klangfarben und nutzt den Raumklang geschickt aus. Ebenso bei Strawinskys Suite zum "Feuervogel": Das Orchester badet in ganzer Bandbreite von toll hörbarem und geheimnisvollem Piano zu schmetterndem Fortissimo.

Gergiev ist keiner, der auf präzise Kanten setzt. Die Musik verfließt bei ihm und wenn dieser Fluss mitnehmend gerät, kann man sich dem kaum entziehen. In Schostakowitschs wüster und gleichsam rührender Symphonie Nr. 5 spiegelt sich das erneut in der breiten Klangfarbenpalette. Doch in kleinen Momenten bekommt das hier auch eine interpretatorische Unverlässlichkeit, die ein wenig ermüdend wirkt. Das Finale pumpt die Aufmerksamkeit jedoch zurück. Viel Applaus folgt für ein Orchester und seinen Chef, die in engster Vertrautheit und faszinierend klanglicher Vielfalt agieren.

© SZ vom 22.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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