Kunstmesse:Diskurs kostet

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Die abc Berlin ist eine Messe, die keine sein will. Auch eine Schrumpfkur half nicht, ihren Status zu klären.

Von Astrid Mania

Kirche und Handel haben sich bekanntlich immer gut vertragen. Es ist kein Zufall, dass sich Gottesdienst und Warenschau den Namen teilen. Denn die kommerzielle Messe entstand in der Nähe und unter dem Schutz des Klerus. Das Geld fließt da, wo es sich sicher fühlt. Das galt für den mittelalterlichen Warenmarkt ebenso wie heute für den Kunstmarkt. Es ist das große Missverständnis von Berlin zu glauben, dass ein Kunstmarkt dort florieren muss, wo Kunst in großer Zahl entsteht. Welcher Künstler "lebt und arbeitet in Basel"? Doch Schweizer Diskretion, Steuerrecht und Zollfreilager sind für Sammler und die geliebt-ungeliebten Investoren unschlagbare Argumente - die Kunst hingegen kann man überallhin tragen.

Dabei könnte man auf der diesjährigen, neunten Berliner abc auch seinen ganz privaten Geldbunker erwerben, selbst wenn Daniel Knorrs "Solo - Bunker" bei der Wiener Galerie nächst St. Stephan ein Relikt aus dem Zweiten Weltkrieg ist, das er vom Braunschweiger Hafen aus nach Berlin hat versetzen lassen. Die Dimensionierung des Einmannbunkers wird unfreiwillig zum Sinnbild für die neue Dimensionierung der gesamten abc. Die von örtlichen Galeristen initiierte Veranstaltung, die immer schon eine Verkaufsschau von Einzelpositionen und nur punktuell international war, hat sich eine radikale Reduzierung der Teilnehmer auf 65 verordnet. Das ist eine Verringerung von 35 Teilnehmern gegenüber dem Vorjahr, auch wenn das Komitee wohl nur ein Viertel aller Interessierten zugelassen hat - seit dem letzten Jahr müssen sich die Händler bewerben. Die neue Übersichtlichkeit hat ihr Gutes und ihr Schlechtes: Ein Sammler meinte schon am frühen Nachmittag, er habe in seiner Verzweiflung gleich zwei Runden gedreht und wolle nun in die Berliner Galerien gehen.

Großgalerien, die ein Ereignis wie dieses nebenbei leicht stemmen, gibt es in Berlin nicht

Damit profitierten auch die "Ausscherer", wie Jochen Meyer vom Board der abc es nennt. Denn einige Berliner Händler sind der Veranstaltung in diesem Jahr ferngeblieben und haben schmerzliche Lücken gerissen. abc und Gallery Weekend, so Meyer, seien Projekte von Galerien für Galerien und lebten auch von der Solidarität untereinander.

In Berlin und in Deutschland überhaupt, das wird bei dieser Gelegenheit wieder deutlich, gibt es den Typus der Großgalerie einfach nicht, die in einer schwierigen Marktsituation ein finanziell wenig einträgliches Event stemmen kann. Ein Event, das Ulrich Gebauer deshalb als "Luxus-Ausstellung" bezeichnet, weil es anders als die Art Unlimited in Basel eben nicht durch Messeverkäufe querfinanziert werden kann. Es ist schwer, eine Schrumpfkur mit konzeptueller Stringenz zu begründen, wenn das Desinteresse mancher Local Player offensichtlich ist.

Und auch wenn der von der abc verschmähte Berliner Galerist Cai Wagner vor der Messe einen Abgesang auf die abc verbreitete, sind andere erstmals und frohen Mutes nach Berlin gekommen. Häusler Contemporary aus München und Zürich, die eine große Schrank-Sanduhr von Roman Signer im Gepäck haben, erhoffen sich eine Ausweitung ihrer Sammlerschaft über die eigenen Standorte hinaus. Linn Lühn aus Düsseldorf, die vor einem Papprelief auf collagierter Wand von Florian Baudrexel steht, sagt, sie sei gekommen um den Berliner Markt von innen zu sehen. Und Leopol Mones Cazon, der mit seiner Galerie Isla Flotante von Buenos Aires her die weiteste Anreise hatte und eine Bondage-Installation von Mariela Scafati zeigt, nutzt nach eigener Aussage den Auftritt in Berlin für PR im Heimatland.

Überhaupt ist für viele Auswärtige die Präsenz ihrer Künstler auf dem Berliner Diskurs-Markt das Argument für die abc. Bärbel Grässlin aus Frankfurt ist nach vier Jahren Pause auf Wunsch ihres Künstlers Secundino Hernández wieder dabei. Michał Woliński von der Warschauer Galerie Piktogram kommt ebenfalls aus diesem Grund nach Berlin - dieses Jahr mit einem animierten Tisch-Stillleben von Tomasz Mróz, das mit seinem beweglichen Penis-Wurm wie eine männliche Antwort auf die sexualisierten Tische von Sarah Lucas denken lässt.

Außerdem, so Kollegin Zuzanna Hadryś von Stereo, unterstütze die Stadt Warschau ihren Auftritt in Berlin. Dass in diesen Zeiten ausgerechnet die polnische Seite den Austausch zwischen den Galerienszenen unterstützt, ist bemerkenswert.

Lohnt es sich für Sammler aus New York oder London wirklich, zu der Klein-Messe anzureisen?

Eine treue Teilnehmerin aus der Ferne ist auch ATHR aus dem saudi-arabischen Jeddah, die mit Aya Haidars Installation aus gefundenen und bearbeiteten Postkarten Fragen nach der Beziehung zwischen Heimat und Fremde aufwirft. In eine ähnliche Stoßrichtung geht die Videoinstallation bei Kraupa-Tuskany Zeidler aus Berlin: "L'Air du Temps" der in Dubai gegründeten Künstlergruppe GCC montiert digital Statussymbole und Versatzstücke arabischer Alltagskultur in ein Pariser Stadtpalais hinein.

Eine derart zeitgeistige Arbeit über das Wechselspiel von politischem und ökonomischem Kolonialismus wurde denn auch gleich - gemeinsam mit Dirk Skrebers unbetitelter und vieldeutiger Arbeit einer nackten Frau mit Kopftuch bei Luis Campaña - von Outset Germany für die Neue Nationalgalerie angekauft. Die private Initiative hat bei Sammlern aus dem Rheinland und dem Süden um Geld geworben, um, wie es heißt, die abc zu unterstützen.

Vertreter der Ankaufkommission der Bundeskunstsammlung hingegen, die sich auf der Kölner Messe, aber auch etwa in Basel engagiert, wurden bislang weder auf der abc noch beim Gallery Weekend gesichtet.

Die Verkleinerung der abc ist ein riskantes Unterfangen, das nicht nur positive Signale sendet: Denn eine attraktive Messe muss sich weder um attraktive Aussteller bemühen, noch die eigene Veranstaltung beschränken, um die Qualität zu sichern.

Visuell zumindest hat die Verkleinerung der abc gutgetan. Sie beginnt laut und selbstbewusst mit Andrew Gilberts Kolonialtheater-Installation bei Sperling, München, und Christopher Roths Bilderatlas auf den leuchtend blauen Wänden bei Esther Schipper. Je tiefer man dann in die Halle vordringt, umso spröder wird es - bis hin zu Joanna Rajkowskas Bodenarbeit bei Żak | Branicka oder der kargen Materialassemblage von Ian Kiaer bei Barbara Wien, beide aus Berlin. Die Freiheit, oder auch das Risiko, nur eine Position zeigen zu können, verstärkt auf der anderen Seite aber wiederum die Wahrnehmung der abc als Ort des Austauschs von Diskurs und nicht von Kunst und Geld.

Diese "Berliner Antwort" auf eine kommerzielle Kunstveranstaltung, so abc-Direktorin Maike Cruse, muss man sich jedoch leisten können. Und reicht eine derart kondensierte abc wirklich aus, um die Anreise eines Sammlers aus London oder New York zu rechtfertigen? Das Gallery Weekend Anfang Mai bietet neben der Kunst selbst immerhin Einblicke in die unterschiedlichsten Berliner Räume und ein beliebtes Bespaßungs- und Bewirtungsprogramm.

Die abc begibt sich so in immer größere Abhängigkeit von der Berlin Art Week, in deren Kontext sie stattfindet. Das herbstliche Kunstprogramm mit seinen musealen und anderen kommerziellen Ausstellungen muss entsprechend starke Zugkräfte entwickeln, die bisher nicht zu spüren sind. Es wäre keine Schande, sich für eine ehrliche und pragmatische Lösung zu entscheiden und aus der abc ganz offiziell eine reine Präsentationsplattform für Berliner und auswärtige Galerien zu machen. Zumindest das verwirrende Dasein der abc zwischen Messe und Ausstellung wäre dann geklärt.

abc. Bis Sonntag. Station Berlin. www.artberlincontemporary.com.

© SZ vom 17.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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