Archäologe:Alles in Scherben

Der Bundestag berät über ein Gesetz, das Kulturgut schützen soll. Doch gegen den Handel mit antiker Raubkunst nützt es nichts, kritisiert der Archäologe Michael Müller-Karpe.

Interview von Jörg Häntzschel

Als im vergangenen Sommer der Entwurf für die Neufassung des Kulturgutschutzgesetzes vorgestellt wurde, brach ein Proteststurm los. Doch die Kritik richtete sich fast nur gegen die verschärften Bestimmungen für die Ausfuhr von Kunst. Der Teil des Gesetzes, der den illegalen Handel mit Antiken stoppen soll, galt als unstrittig. Der Archäologe Michael Müller-Karpe hält hingegen das Gesetz, das an diesem Donnerstag in erster Lesung im Bundestag behandelt wird, für völlig unzureichend, um das Geschäft mit Raubgrabungen zu unterbinden.

SZ: Deutschland ist zu einer Drehscheibe für den Handel mit illegal ausgegrabenen Antiken geworden. Wie kam es dazu?

Michael Müller-Karpe: Deutschland hat 37 peinliche Jahre gebraucht, um die Unesco-Konvention von 1970 zum Kulturgutschutz zu ratifizieren. Aber man hat sie auf eine Weise in nationales Recht umgesetzt, die der Absicht der Konvention, das Kulturgut zu schützen, diametral entgegensteht: Zentrales Merkmal des Kulturgüterrückgabegesetzes von 2007 ist das "Listenprinzip". Geschützt sind damit nur Objekte, die von den Herkunftsländern gemeldet werden sollten. Die Händler argumentierten, dass dann alles, was nicht gelistet ist, legal sei. Nur können Funde aus Raubgrabungen natürlich nirgendwo gelistet sein. Aufgrund des Gesetzes wurde nicht ein Objekt an ein Herkunftsland zurückgegeben.

Das neue Gesetz soll diese Fehler nun gutmachen. Was sind die Schlüsselpunkte?

Zunächst einmal will man das Listenprinzip aufgeben. Und es wurde angekündigt, dass für Einfuhr und Handel mit Antiken Genehmigungen des Herkunftslandes vorzulegen sind. Doch aus der Muss-Bestimmung ist eine Kann-Bestimmung geworden. Statt der Ausfuhrgenehmigung des Herkunftslandes genügt ein Dokument, das belegt, dass das Objekt vor dem 26. April 2007 schon einmal in Deutschland war, dem Tag, als Deutschland die Unesco-Konvention ratifiziert hat. Alle diese Objekte gelten nicht mehr als unrechtmäßig eingeführt und werden nicht mehr zurückgegeben. Sie sind gewaschen. Das ist der entscheidende Fehler. Auch mit dem neuen Gesetz missachtet Deutschland also die Verpflichtungen der Konvention.

Was tue ich also künftig, wenn ich eine frisch in Syrien ausgegrabene Vase nach Deutschland bringen will?

Sie legen beim Zoll ein Dokument vor, aus dem hervorgeht, dass sie sich vor 2007 schon mal in Deutschland befunden hat. Sie denken sich eine Geschichte aus, die bestätigt wird durch jemanden, der leider gerade verstorben ist. Sie verfassen ein Schreiben in krakeliger Handschrift, dass dieses Objekt in den Sechzigerjahren erworben wurde.

A looter walks away from an ancient site southeast of Hebron.

Solange die Nachfrage nicht gestoppt wird, geht auch das Plündern weiter: Raubgräber an einer antiken Fundstätte im Westjordanland.

(Foto: Getty Images)

Ist das wirklich so einfach?

Auf den Zoll, der jetzt schon überlastet ist, kommen unzählige neue Dokumente zu, die überprüft werden sollen. Wie soll das gehen? Hehlerei ist in Deutschland ein Straftatbestand. Aber bei Hehlerei mit Antiken sieht man einfach weg. Wenn das Gesetz in der jetzigen Form durchkommt, wird sich daran nichts ändern.

Wie ist diese Blindheit zu erklären?

Man möchte die Kultur schützen, aber den Handel mit Objekten zweifelhafter Herkunft nicht verhindern. Doch beides geht nicht. Man muss sich entscheiden. Die Raubgrabungen hören nicht auf, solange der Handel weitergeht. Wir müssen auf der Nachfrageseite ansetzen. Denn das Angebot kommt großenteils aus Ländern, wo Chaos und Krieg herrschen. Diese Staaten sind nicht in der Lage, ihre archäologischen Stätten wirksam zu schützen.

Unter einem Wert von 100 Euro sollen die "erhöhten Sorgfaltspflichten" des Handels nicht gelten. Das klingt nicht unvernünftig. 100 Euro ist nicht viel Geld.

Die Bedeutung eines archäologischen Objekts bemisst sich nicht nach dem Marktwert, sondern nach den Informationen, die es transportiert. Diese sind vor allem im Kontext der Objekte im Boden enthalten. Es ist wie mit einem Buchstaben, den Sie aus dem Wortkontext, aus dem Satzkontext reißen. Er verliert seinen Informationsgehalt. Archäologische Stätten sind wie Archive. Diese Bodenarchive müssen wir schützen. Wenn wir immer mehr Buchstaben aus dem Text reißen, ist der Text nicht mehr lesbar. Sehen Sie sich Luftaufnahmen von archäologischen Stätten an. Sie sehen aus wie Mondlandschaften, wie Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs - vollständige Vernichtung. Wenn wir als Archäologen wieder in diesen Ländern arbeiten können, werden wir zerstörte Texte vorfinden, die wir nicht mehr lesen können.

Der Handel interessiert sich für Objekte.

Die sind hübsch anzusehen, aber sie haben ihren Informationsgehalt verloren. Objekte, die in einem Grab gefunden werden, geben uns Aussagen über den Grabinhaber. Wurde ihm ein königliches Rollsiegel beigegeben, dann war es zum Beispiel der Lordsiegelbewahrer, der eine wichtige Funktion im Palast hatte. All das geht verloren, wenn das Rollsiegel in der Händlervitrine liegt. Abgesehen davon haben Dinge mit geringem Marktwert oft einen immensen Erkenntniswert. Schauplätze von römischen Schlachten wurden anhand von Münzen identifiziert, die Sie bei Ebay für ein paar Euro kaufen können.

Lädt die 100-Euro-Grenze auch dazu ein, die Funde zu zerkleinern?

Schon jetzt zerschlagen Händler griechische Vasen und verkaufen die Scherben einzeln. Dieses Gesetz fördert das. Man zerdeppert ein sonst schwerer verkäufliches Gefäß in viele leicht verkäufliche 100-Euro-Scherben. Der größte Teil des Umsatzes mit geplündertem Kulturgut stammt von Objekten unter 100 Euro.

Sind andere Länder strenger?

Leider ist Deutschland nicht von Musterknaben umgeben. Das ideale Antikengesetz kenne ich in Europa nicht. Vorbildlich ist das irakische Antikengesetz von 1936, es schützt alles, was älter als 200 Jahre ist. Der Schutz des Bodenarchivs für spätere Generationen ist die oberste Maxime. Im Grunde bräuchte man dieses Gesetz nur ins Deutsche zu übersetzen.

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Michael Müller-Karpe ist Archäologe beim Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz. Er engagiert sich im Kampf gegen den illegalen Antikenhandel.

(Foto: RGZM / V. Iserhardt )

Es gab in den letzten Jahren viel Kritik an den Praktiken der Händler. Hatte das keine Folgen?

Der Handel läuft so gut wie zuvor. Und in den Auktionskatalogen finden Sie immer noch Herkunftsangaben wie "aus bayerischem Privatbesitz", was nichts anderes heißt als: Die Exportgenehmigungen fehlen. Hätte man sie, würden man sie natürlich angeben, weil das einen höheren Preis brächte. Und man muss sich im Klaren darüber sein, dass es Antikengesetze ja nicht erst seit gestern gibt. Im Irak etwa gibt es seit 1869 ein Grabungsverbot, ein Exportverbot, eine Meldepflicht für Zufallsfunde. Ohne amtliches Dokument hat seit 1869 nicht ein einziges archäologisches Objekt den Irak, Syrien oder die Türkei mehr legal verlassen. Archäologische Funde kommen nicht aus Familienbesitz, sondern seit 1869 aus Raubgrabungen.

Wie sieht es bei den Museen aus?

Der Skandal um die Ankäufe des Getty-Museums in Kalifornien hat einiges bewirkt. Man macht sich klar, dass man mit dem Erwerb von archäologischen Funden zweifelhafter Herkunft am wissenschaftlichen Ast sägt, auf dem man sitzt.

Will man mit der Stichtagregelung deutsche Museen vor Ansprüchen aus Syrien, dem Irak oder der Türkei schützen?

Das spielt sicherlich eine Rolle und ist ein Grund, warum einige Kollegen mir zwar zustimmen, es aber öffentlich nicht sagen wollen. Sie haben das Gefühl, im Glashaus zu sitzen. Dabei haben wir alle Fehler gemacht. Auch das Römisch-Germanische Museum, für das ich tätig bin, hat noch vor ein paar Jahren Dinge gekauft, ohne zu fragen, woher sie kommen.

Sie kritisieren, dass das neue Gesetz den Handel mit in Deutschland geplünderten Antiken besonders lax handhabt.

Das ist das Erstaunliche an einem Gesetz, das deutsches Kulturgut schützen soll. Für dieses soll weiterhin das Listenprinzip gelten. Die unzähligen Raubgrabungsfunde, die unter Zerstörung deutscher Bodendenkmäler dem Boden entrissen wurden, unterliegen keinem Ausfuhrverbot und können ungehindert vermarktet werden.

Spielt Raubgräberei hierzulande denn eine große Rolle?

Eine gewaltige. Es gibt mehrere Zehntausend Sondengänger, oft verharmlosend als "Hobbyarchäologen" bezeichnet. Sie gehen durch die Landschaft und zerstören archäologische Denkmäler. Natürlich haben wir Gesetze, die das Graben verbieten. Aber ich kenne kaum Fälle, wo jemand belangt wurde. Die Ringwallanlagen bei uns im Taunus, Stadtanlagen aus den letzten Jahrhunderten vor Christus, gelten nach 30 Jahren Plünderung als metallfrei - und völlig zerstört. Wenn der Wald den Frevel nicht verdecken würde, sähen sie genauso aus wie die Mondlandschaften im Irak.

Sie wurden um eine Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf gebeten. Sie fiel vernichtend aus. Sie haben aber auch Verbesserungsvorschläge gemacht. Was ging davon in den Gesetzentwurf ein?  


Nichts.

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