Kunst und VW:Die Traurigkeit einer Reißbrettsiedlung

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Bild von einem Auto: Don Eddys "Untitled (Volkswagen)" aus dem Jahr 1971 lässt den Lack fotorealistisch glänzen. (Foto: Mus. mod. Kunst Stiftung Ludwig Wien; Leihg. d. Österr. Ludwig-Stiftung seit 1991 sowie Don Eddy '16)

Das Museum Wolfsburg zeigt die Geschichte einer gegenseitigen Abhängigkeit.

Von Till Briegleb

Es hat eine gewisse Aussagekraft, dass die Gleise am Bahnhof Wolfsburg anders gezählt werden als sonstwo in Deutschland. Beginnt die Reihe normalerweise auf der Seite des Empfangsgebäudes zur Stadt hin, so liegt Gleis Nummer 1 in Wolfsburg Richtung VW-Werk. Symbolischer lässt sich kaum ausdrücken, warum dieser Ort überhaupt keine Stadt ist, sondern der Stadtfortsatz eines Industriebetriebs.

So wurde dieser bereits gegründet, als "Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben", damals 1938, als Adolf Hitler von einem Volksauto für 1000 Reichsmark träumte und unter dem "Heil"-Gebrüll von 60 000 Jubelnazis am Mittellandkanal den Grundstein für das Werk (und nicht für die Stadt) setzte. So entwickelte er sich nach dem Krieg, als VW-Alleinherrscher Heinrich Nordhoff den Bürgermeistern ihre Amtskette umlegte. Und so wird es immer bleiben, außer VW leistet sich einen weiteren Betrugsskandal, über den das Imperium kollabiert. Aber dann gehen auch am anderen Ufer des Mittellandkanals vermutlich die Lichter aus.

Die Schau "Stadt als Weltlabor" gilt dem 80jährigen Stadtfortsatz eines Industriebetriebes

Selbst das örtliche Kunstmuseum hat einen Höflingsstatus im Auto-Versailles der Golf-Könige. Untergebracht am anderen Ende dieser Stadt ohne Zentrum - zwischen Alvar Aaltos Kulturhaus ohne Fenster und Hans Scharouns Theater ohne Ensemble - befindet sich dieses Museum ohne staatliche Zuschüsse allein in der Trägerschaft der "Kunststiftung Volkswagen". Das findet in den meisten Rezensionen zu den aufwendigen Ausstellungen an diesem Haus zwar keine Erwähnung, aber im Fall der vermutlich größten Schau, die in Peter Schwegers werkshallenähnlichem Kunstbau je installiert wurde, spielt es eine entscheidende Rolle.

Denn das erste selbstkuratierte Unterfangen des neuen Direktors Ralf Beil - der bisher noch die von seinem überraschend verstorbenen Vorgänger Markus Brüderlin geplanten Ausstellungen umgesetzt hatte - heißt "Wolfsburg Unlimited - eine Stadt als Weltlabor". Ihr Thema ist der kaum 80 Jahre alte Stadtfortsatz selbst. Mit Dokumenten und Artefakten, Kunstwerken mit Bezug zur Lokalgeschichte und beauftragten Interventionen namhafter Künstler will Beil eine kritische und komplexe Sicht auf diese Projektstadt eröffnen. Kann das gutgehen? In einem VW-Museum?

Man nehme nur das Beieinander von KZ und Kfz. Der Aufbau des VW-Werks, das mit Kriegsbeginn zunächst der Rüstungsproduktion diente, wurde mit Tausenden Zwangsarbeitern und Häftlingen der Konzentrationslager unternommen. Verantwortlich für diese Gewaltmaßnahme war Ferdinand Porsche höchstpersönlich, der später so verehrte "Erfinder" des Käfers und Gründer des gleichnamigen Sportwagen-Imperiums, der als VW-Hauptgeschäftsführer direkt bei Himmler und Hitler die Arbeitssklaven anforderte. Das wird in der Ausstellung zwar angesprochen, dargestellt wird es aber nicht. Jedenfalls nicht das Leid dieses Gründungsverbrechens. Eine liebliche Schutzmantelmadonna, die ein flämischer Zwangsarbeiter aus Gips geformt hatte, und ein finsteres Porträt Himmlers von Luc Tuymans versinnbildlichen sehr distanziert die dunkle Seite der frühen Volkswagengeschichte, während die schönen Werbeplakate für den KdF-Wagen und der glückstrahlende Adolf Hitler vor dem ersten Modell im Propaganda-Foto von Heinrich Hoffmann ausgesprochen schmuck platziert sind. Über solche merkwürdigen Gewichtungen - die erst in dem dezidierten Katalog wieder zurechtgerückt werden - stolpert man in dieser Ausstellung noch des öfteren.

Die zur Aktionärshauptversammlung am heutigen Mittwoch angereisten Aktionäre werden sich dafür sicher für das steif aufgesagte Videobekenntnis von Martin Winterkorn nach Bekanntwerden des Abgasbetrugs interessieren. Die Bewertung der Konzernführung, die systematisch kriminelle Strukturen im VW-Betrieb hervorbringt, fehlt aber. Und das verwandelt dieses peinliche Video in ein Zeugnis persönlicher Unbeholfenheit, anstatt in eine Vorlage, über die Strukturen eines globalen Wirtschaftsunternehmens nachzudenken, das im großen Stil seine Kunden belügt.

Ähnlich schmerzlos wird auch die Nachkriegszeit bebildert, als der Super-Patriarch Heinrich Nordhoff sich wie ein Sonnenkönig thronend über 29 000 Arbeitern auf der Werksstraße porträtieren ließ. Hier hängen Nordhoffs Jagdtrophäen - die er unter anderem mit rechtsextremen Apartheid-Politikern in Südafrika erlegt hatte - geradezu heimelig über den Plakaten der Ausstellungen von Franz Marc und Vincent van Gogh und Bildern der Konzerte mit Herbert von Karajan und Wilhelm Furtwängler, die der VW-Chef für seine Belegschaft organisieren ließ.

Eine sehr lange Reihe Bilderahmen mit Markenwerbung und Kunst-Käfern von Christo oder Andy Warhol bildet das Rückgrat dieses "historischen Teils", der ebenso gut der Autostadt als Eigenwerbung dienen könnte. Entsprechend zu der Käferwerbung vom "Kraft-Ei" kann man die Darstellung des VW-Konzerns in dieser Ausstellung als Eiertanz bezeichnen.

Wie Wolfsburg sich den Ruf erarbeiten konnte, Deutschlands hässlichste Stadt zu sein, findet da schon mehr kritische Würdigung. Ein Tagebuch des dort geborenen Fotografen Peter Bialobrzeski schafft es mit wenigen Architekturansichten und Texteinträgen, die ganze Traurigkeit einer Reißbrettsiedlung fühlbar zu machen, die sich erst als NS-Musterstadt, dann als Musterstadt der Moderne, des Großsiedlungbaus profilierte. Und sich in einem vierten Anlauf als Musterstadt des Event-Developments andiente - um sich als urbanes Stadtgefüge und attraktive Lebenswelt dabei komplett auszumustern.

Die künstlerischen Interventionen, die Ralf Beil für seine Wolfsburg-Reflexion entwickeln ließ, sind dann auch eher von einer gewissen aggressiven Antimanier zum positiv klingenden Vorsatz des "Weltlabors" geprägt. Julian Rosefeldt hat in die große Halle des Museums eine stimmungsvolle düstere Containerlandschaft mit Obdachlosenlager und Autokino installiert, um dort ein rätselhaft albernes Gangster-Ballett zu zeigen. John Bock bastelt und matscht sich in gewohnt enthemmter Manier durch das Architekturthema "Labskaus oder der alte Scharoun in seinem Elend". Eva Leitolf erzählt eine Geschichte der kommunalen Selbstdarstellung mittels Verlautbarungen von Konzern, Stadt und Lokalzeitung, die sich umgehend als Propaganda entlarven.

Ingenieur Josef Ganz, Erfinder des "Maikäfer"-Autos, wurde als Jude aus der Erinnerung getilgt

Und Rémy Markowitsch beschäftigt sich in seiner großen historischen Installation mit dem Ingenieur Josef Ganz, der mit seinem "Maikäfer"-Auto von 1931 als der eigentliche Erfinder des Volkswagens gilt, als Jude während Porsches Auto-Regime aber aus jeder Erinnerung getilgt wurde - bis ihn der holländische Technikjournalist Paul Schilperoord in seiner Biografie 2009 wieder zu Ehren kommen ließ. Als Denkmal für Ganz schlägt Markowitsch eine goldene Kugel mit weißer Gans vor, deren Hals umgedreht wurde. Diese Kritik am deutschen Porsche-Kult wäre allerdings viel besser direkt neben dem Denkmal von Hitlers liebstem Auto-Narr vor dem Rathaus der Stadt platziert.

Hier gibt es stattdessen eine lustige Umprogrammierung des Glockenspiels durch Nevin Aladag zu hören, das nun um 12 Uhr nicht mehr das "Niedersachsenlied", sondern "Smoke on the Water" bimmelt, außerdem "Money, Money, Money" von Abba, "Mad World" von Tears for Fears oder die italienische Partisanen-Hymne "Bella Ciao". Das ist ein sehr charmanter Scherz mit dem überall spürbaren und absolut verständlichen Bemühen der VW-Stadt, in dieser zugigen Collage misslungener Modernitätsversprechen Heimatgefühl herzustellen. Die meisten Besucher sind trotzdem heilfroh, wenn sie wieder die Bahnhofsbaracke mit ICE-Anschluss erreicht haben, die in einer reinen Autostadt natürlich keinerlei ästhetische Zuwendung genossen hat. Und wo zumindest Instinktmenschen leicht ihren Zug verpassen, weil sie dort stehen, wo sich sonst das Gleis 1 befindet.

W olfsburg Unlimited - Eine Stadt als Weltlabor, Kunstmuseum Wolfsburg, bis 11. September . Der Katalog kostet 39,80 Euro.

© SZ vom 22.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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