Kunst:Tigermassaker

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Die Gamescom geht zu Ende. Daneben, im Kölner Museum für angewandte Kunst, läuft die Ausstellung "Im Spielrausch" mit spannenden Werken von Hawranke.

Von MICHAEL KOHLER

Mit dem Spieltrieb beginnt die menschliche Kultur, aber vielleicht endet sie auch mit ihm. In modernen Spielen geht es jedenfalls auffallend häufig um den Überlebenskampf in feindlicher Umgebung - darin unterscheiden sich weder "Mensch ärgere dich nicht" noch der niedliche Allesfresser Pacman oder der hochgerüstete digitale Ego-Shooter. Der Kölner Medienkünstler Thomas Hawranke hat sich deshalb einen grimmigen Spaß daraus gemacht, sämtliche Schießbudenfiguren, die er im Laufe des Computerspiels "Modern Warfare 2" aus dem Weg räumen musste, nach Spielebenen sortiert zu einem riesigen, beinahe abstrakt wirkenden Leichenberg zusammenzukehren. Anlässlich der Gamescom, der Kölner Leitmesse für digitale Spielkultur, sind jetzt mehrere Werke Hawrankes im örtlichen Museum für Angewandte Kunst zu sehen, in denen er das Master-Programm der Ballerspielkultur in schönster Deutlichkeit vor Augen führt. Dafür benutzt er Map-Editoren, eine Software, mit der Spielehersteller ihren Kunden erlauben, Elemente des Spiels zu verändern oder selbst Spielebenen zu bauen. Mit ihrer Hilfe zieht Hawranke menschlichen Figuren das Fell von Primaten an und verwandelt Los Santos, den Schauplatz von "Grand Theft Auto V", in einen Vorposten des Planeten der Affen. Höhepunkt der Ausstellung "Im Spielrausch" ist seine Videoinstallation "Tiger Phased". Für sie hat Hawranke 300 digitale Tiger aus dem Spiel "Far Cry 4" auf leerer Fläche unter einen strahlend blauen Himmel zusammengepfercht. In der "Far Cry"-Serie geht es um das Überleben in der Wildnis; der dritte Teil verschlägt den Spieler auf eine einsame Insel, der vierte nach Tibet. Hier gilt das Prinzip der blutigen Klauen und Zähne. Ganz oben in der tierischen Rangordnung stehen die Tiger, die ihre Stärke auch dadurch demonstrieren, dass sie einander anfallen und töten. Hawranke macht daraus eine Versuchsanordnung von surrealer Schönheit. Beinahe 22 Minuten lang erheben sich aus dem Meer schwer atmender und schwanzwedelnder Tiger einzelne Ringerpärchen, um zu minimalistischen, von Steve Reichs Musikstück "Piano Phases" inspirierten Endlosschleifen ihr "natürliches" Verhalten abzuspulen. Am Ende sind alle Tiger tot - bis auf einen. Er trottet davon und entlässt den Zuschauer aus einer lehrreichen Hypnose.

© SZ vom 26.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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