Kunst:Super Kunstjahr

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Große Strahlkraft: Nur alle zehn Jahre fallen sie in einen einzigen Sommer: die Documenta in Kassel (und in diesem Jahr auch in Athen), die "Skulptur Projekte" in Münster und die Biennale in Venedig.

Von Catrin Lorch

Als Eliza Douglas kurz vor Ende der Vorstellung "Faust" zum Feuerwehrschlauch griff und die grau geäderten Steinplatten des Deutschen Pavillons unter Wasser setzte, wirkte das wie eine Erfrischung. Es war heiß an dem Mai-Tag in Venedig, auf dem gläsernen Zwischenboden, auf dem ihre Zuschauer standen, war es eng, die Sonne schien durch die hohen Fenster. Wenige Stunden später sollte Anne Imhof für diesen "Faust" im deutschen Pavillon mit einem Goldenen Löwen für den besten nationalen Beitrag ausgezeichnet werden, Deutschland hatte gewonnen und nicht nur das: "Faust" war ein Werk, das schnell weit über die Szene hinaus berühmt wurde, die attraktiven Aufnahmen der jungen Tänzer, Sänger und Schauspieler wurden nicht nur in Kunstmagazinen ganzseitig gezeigt.

Das "Superkunstjahr" ist mehr als sechs Monate nach dieser Vernissage immer noch nicht an seinem Ende angekommen. Der "Faust" wird im Herbstnebel der Lagune immer noch gegeben, denn dort werden erst kurz vor Advent die Pavillons und die Ausstellungshallen in die historischen Arsenale - die mittelalterlichen Werften Venedigs - geräumt. Damit endet ein Sommer der zeitgenössischen Kunst, der sich so nur alle zehn Jahre wiederholt. Dann, wenn die im Zweijahresabstand stattfindende Biennale kurz vor der im Fünf-Jahres-Rhythmus getakteten Documenta eröffnet und auch noch die "Skulptur Projekte" die Innenstadt von Münster in eine Freiluftausstellung verwandeln, was nur alle zehn Jahre vorkommt. Diese Kunstsaison war aber auch deswegen länger als je zuvor, weil der Publikumsmagnet Biennale - aus vornehmlich touristischen Gründen - länger dauerte als je zuvor. Und weil die Documenta 14 an zwei Orten stattfand: im angestammten nordhessischen Kassel und in Athen, wo sie schon im April eröffnete.

Und die Bilanz? Ist noch nicht fertig. Vor allem, weil die Documenta 14 in der Kritik steht, seit - zwei Wochen vor dem Ende ihrer Laufzeit im September - bekannt wurde, dass sie mit einem Defizit abschließen wird. Mehr als fünf Millionen Euro fehlten im laufenden Betrieb, das Land Hessen und die Stadt Kassel mussten Bürgschaften übernehmen. Und noch bevor die Kritiker ihr abschließendes Urteil über die Ausstellung gefällt hatten, distanzierten sich Politiker von ihrem Konzept der zwei Spielorte, ihrem Kurator Adam Szymczyk und der Kunst. Sogar vom Ankauf eines der Lieblingswerke des Publikums, einem Obelisken des Künstlers Olu Oguibe, der die Inschrift "Ich war ein Fremdling und ihr habt mich beherbergt" in vier Sprachen eingemeisselt hatte. Dass mehr als eine Million Besucher an beiden Orten insgesamt gezählt wurden, fiel aus der Perspektive der Politik kaum ins Gewicht. Die Documenta 14 wurde von der Lokalpolitik wochenlang als Krise inszeniert.

Das verhagelte nicht nur der Documenta die Bilanz; die anderen beiden Großausstellungen, die "Skulptur Projekte" in Münster und die Biennale in Venedig, wurden höchstens noch als Gegensatz kritisiert, für eine künstlerische Bewertung fehlte die Aufmerksamkeit. Münster mit seinen mehr als 600 000 Besuchern war allerdings schon während der Laufzeit überwiegend positiv besprochen worden. Venedig, abgesehen von einzelnen nationalen Pavillons, durchgefallen. Zu vage schien die von der französischen Kuratorin Christine Macel verantwortete Ausstellung "Viva Arte Viva!". Der gewaltige, viele Hundert Künstlernamen umfassende Rundgang wirkte zusammenhanglos, an zu vielen Stellen war unübersehbar, dass nicht die Kuratorin, sondern der Markt die Auswahl diktierte. Die Weltkunstschau in der Lagune verfügt fast über keinen Etat, Galerien und Sammler finanzieren den Auftritt der Künstler weitgehend, die Mammutschau kann sich eigene Produktionen nicht leisten.

Nicole Eisenman entwarf in Münster einen Brunnen mit tollpatschigen Figuren – inklusive Cola-Dose. (Foto: Rüdiger Wölk/imago)

Was also bleibt vom "Superkunstjahr"? Es ist zunächst die Erinnerung an so herausragende Projekte wie Anne Imhofs "Faust" in Venedig. An die Gitter, die AyȘe Erkmen im Hafen von Münster so versenkte, dass die Besucher auf dem Wasser wandeln konnten. An den "Parthenon of Books", den Nachbau der Akropolis in Originalgröße aus zensierten Büchern von Marta Minujn auf dem Rasen vor dem Kasseler Fridericianum. An die gewaltigen Tonröhren, die Hiwa K in Kassel in Erinnerung an seine Flucht als Schlafplätze ausgestaltet hatte. An Emeka Ogbohs Sound-Installationen, die in Athen und Münster zu hören waren. Aber vor allem an den komplex aufgebauten Parcours der Documenta 14, der sich kaum nach Nationen, Stilen und Motiven sortieren ließ, sondern grundlegende Fragen stellte, sperrigen Themen wie Schulden, Gewalt, Flucht und Vertreibung.

Vor allem aber bleibt eine Erkenntnis: Es sind nicht der Markt, die Messen und die Privatsammler, die für solche Kunstwunder verantwortlich sind. Sondern vor allem die hervorragenden öffentlichen Strukturen, die sich eine Kulturnation wie Deutschland immer noch leistet: Die Förderung des deutschen Pavillons durch das Institut für Auslandsbeziehungen, die mit dem Goldenen Löwen für Anne Imhof und ihre Kuratorin Susanne Pfeffer belohnt wurde, ist ein Beispiel.

Internationale Kunstbiennale in Venedig 2017: Besucher im deutschen Pavillon von Anne Imhof. Ihre Performance „Faust“ gewann den Goldenen Löwen. (Foto: Gaetan Bally/dpa)

Es sind einzig Unterfangen wie die "Skulptur Projekte" und die Documenta, die dem global operierenden Markt noch etwas entgegensetzen können. Anders als die zahllosen Biennalen und Großausstellungen sind sie ihrem hervorragenden Ruf verpflichtet, weitgehend öffentlich finanziert und kuratorisch frei. Dass die Documenta 14 ihren Etat womöglich überzogen hat, sollte eher ein Grund sein, ihre Finanzierung abzusichern. Denn der Ruf solcher Ausstellungen, ihre Unabhängigkeit und Strahlkraft haben die deutsche Provinz in diesem Jahr zum Zentrum der Kunstwelt gemacht.

© SZ vom 27.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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