Kunst:Spurensuche

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Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen, die Menschen bewegen. Wir suchen in Film, Kunst und Literatur nach wiederkehrenden Motiven - Adonis zeigt die Verletzlichkeit der Männer. Besonders drastisch bei Peter Paul Rubens.

Von Gustav Seibt

Todgeweiht ist er von Anfang an, der schönste aller Männer. Adonis, der den Ruhm körperlicher Vollkommenheit in der antiken Mythologie vertritt, ist zwar nicht das Kind, aber das Geschöpf der Liebesgöttin Venus. Sie hat ihn als Säugling im Wald gefunden, seine künftige Schönheit sogleich erkannt, und darum lässt sie ihn verborgen vor neidischen Blicken in der Unterwelt aufziehen - nur zu Ferienzeiten darf er mit Proserpina ans Tageslicht kommen. Dort schläft er, hingegossen unter einem Baum. Venus kann nicht anders, sie muss ihn küssen. Liebt er sie wieder? Verschmäht er sie? Die Überlieferungen sind uneinig, Ovid sagt jenes, Shakespeare dieses.

Wie auch immer! Der halbe Hades-Bewohner und seine schöne Männlichkeit sind verletzlich. Adonis ist nicht nur schön, er ist auch ein Mann. Der Mann will seinen Mut beweisen, er muss auf die Jagd gehen. Venus möchte das nicht, sie hat Angst um eine Schönheit, die so strahlt und zugleich so hinfällig ist. Doch Adonis schlägt die Warnungen der Göttin in den Wind und jagt ein gefährliches Tier, einen Eber. Er trifft ihn mit seinem Speer, aber er tötet ihn nicht. Das Tier wird rasend, es befreit sich von dem Speer und rast stampfend dem Adonis nach, der sich längst zitternd hinter Busch und Fels verbirgt. Vergebens. Der blutende Eber stürzt sich auf seinen Verletzer und treibt ihm die Hauer "tief in die Leisten", so genau beschreibt es Ovid - an die Stelle, wo der Mann am verletzlichsten ist, am Punkt seiner Männlichkeit.

Wie oft wurde diese grausame, blutige Geschichte gemalt, vor allem in der Zeit des Barock! Mal wählten die Maler den Moment des ersten Kusses zwischen Venus und dem Jüngling, mit seinem Schweben zwischen Gewähren und Abwehren. Aber oft auch den schönen Toten und die Klage der untröstlichen Venus. Kaum ein Maler wagte es, den Ovid so wörtlich zu nehmen wie Peter Paul Rubens, der 1614 die Zerstörung an dem heiklen Punkt des athletischen Körpers zeigte: Blut am Geschlecht, wenn auch bedeckt mit einem Tuch. Die Hauptfiguren sind nach antiken Statuen modelliert, einem Apollon und einer kauernden Venus. Amor und drei Nymphen trauern, während ein Jagdhund das Blut des Adonis aufleckt, um zu zeigen: Es ist echt.

Männer sind Krieger und Jäger, Männer sind gewalttätig. Das hat der Mythos immer gewusst. Aber er wusste auch: Männer sind schwach und hinfällig, und nicht einmal eine Göttin kann sie bewahren.

© SZ vom 17.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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