Kunst:Sie haben überlebt

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Die Berliner Museen lagerten im Krieg ihre Schätze in einem Bunker in Friedrichshain ein. 1945 brannte es dort, das meiste galt seither als verschollen. Nun sind 59 Skulpturen aus der Renaissance in Moskau wieder aufgetaucht.

Von Luise Schendel und Kia Vahland

Seit Kriegsende bewegt Kunsthistoriker eine Frage: Was genau geschah im Mai 1945, als kurz nacheinander gleich zwei Brände im Berliner Flakbunker Friedrichshain ausbrachen? Welche der dort eingelagerten Museumsstücke verbrannten, welche wurden gestohlen und existieren womöglich noch irgendwo im Verborgenen? Hunderte Gemälde von Peter Paul Rubens bis Caravaggio gingen wohl in Flammen auf, ebenso etliche Holzskulpturen. Was aber geschah mit Werken aus Materialien wie Marmor und Bronze, die das Feuer überdauert haben könnten?

Darauf gibt es zwar immer noch keine große Antwort, aber nun immerhin 59 kleine. Das Moskauer Puschkin-Museum bestätigt gegenüber der SZ, dass sich 59 Berliner Skulpturen in seinen Depots und Restaurierungswerkstätten befinden. Dazu gehören zwei Meisterwerke Donatellos, seine 1430 entstandene Bronzeplastik "Johannes der Täufer" und sein einige Jahre älteres Marmorrelief einer Geißelung Christi. Die erhaltenen Werke gewähren einen guten Überblick über die Florentiner Frührenaissance. Darunter sind Luca della Robbias "Madonna", eine "Grablegung" von Andrea del Verrocchio, dem Lehrer Leonardo da Vincis, und die Büste einer jungen Frau von Mino da Fiesole.

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(Foto: Archiv SBM. Staatliche Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz.)

Mino da Fiesole, Bildnis eine Jungfrau.

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(Foto: Archiv SBM. Staatliche Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz.)

Donatello, Geißelung Christi.

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(Foto: Archiv SBM. Staatliche Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz.)

Donatello, Johannes der Täufer.

Erstaunlich an der Offenbarung des Puschkin-Museums ist der Zeitpunkt: Im Jahr 1998, als sich Berlin und Moskau politisch näher standen als jetzt, beschloss die Moskauer Duma ein immer noch geltendes Gesetz, wonach deutsche Museen grundsätzlich keine Beutekunst zurückerhalten sollen. Danach schwiegen sich die Museumsleute beider Länder eher an. Heute sind die politischen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland abgekühlt, doch die Kunsthistoriker aus Berlin und Moskau verstehen sich plötzlich prächtig. "Das ist antizyklisch", sagt Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, gegenüber der SZ. "Die Kollegen in Moskau und wir wollen die Brücken nicht abbrechen, wir sind eine Schicksalsgemeinschaft". Deswegen suchen die Berliner Museumsleute seit mehreren Jahren das Gespräch, zuerst die Archäologen und seit einiger Zeit auch die Kunsthistoriker. "Es war ein ganz besonderer Moment für mich als Donatello-Forscher, als ich endlich in Moskau vor den Kunstwerken stand und sie untersuchen konnte", erzählt Neville Rowley, der Berliner Kurator für frühitalienische Kunst. Die in der Nachkriegszeit nach Russland verschleppten Skulpturen sind in einem fragilen Zustand. Ausgestellt wurden sie in Moskau nie, restauriert offenbar auch nicht. Die Brandschäden sähe man manchen Skulpturen an, sagt Rowley, der die Arbeiten in Moskau gemeinsam mit deutschen Restauratoren begutachtete. Anderen Plastiken würden Arme und Beine fehlen. Doch in Berlin haben sich historische Abgüsse der Werke erhalten, mit ihrer Hilfe lässt sich das Fehlende nun in langjähriger Kleinarbeit rekonstruieren. So profitieren die Museumskustoden beider Länder von den Beständen und Kenntnissen der jeweils anderen. Erst in der Zusammenarbeit können die Kunsthistoriker die Werke wirklich erforschen und restaurieren. Am Ende soll eine Ausstellung stehen - in Moskau. Dass die Werke zurückkehren nach Deutschland, und sei es nur leihweise, erscheint nach wie vor undenkbar. Zu groß ist die Angst der Russen, die Deutschen könnten die Stücke behalten. Die Berliner bestehen nach wie vor auf ihrem Eigentum. Das aber hindert sie nun nicht mehr daran, um der Kunst willen zu kooperieren und zu retten, was zu retten ist.

© SZ vom 20.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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