Kunst:Religion ist ein Gespräch unter Freunden

Lesezeit: 6 min

Cranach der Jüngere malte nur Bilder seines berühmteren Vaters ab? Mitnichten. Drei Ausstellungen würdigen nun seinen Einfluss auf die Reformation.

Von Gottfried Knapp

Das Bundesland Sachsen-Anhalt scheint bei Landesausstellungen besonderen Ehrgeiz zu entwickeln. Die überwältigend reiche Schau über den Naumburger Meister im wunderbar konservierten mittelalterlichen Gesamtkunstwerk des Naumburger Domstifts ist wie kaum eine Ausstellung zuvor dem Ideal, Weltkunst am Ort ihrer Entstehung zu vermitteln, nahe gekommen. Mit den geschickt sich ergänzenden Cranach-Ausstellungen in Dessau, Wörlitz und an den Wirkungsstätten der Cranachs in Wittenberg ist den Kunstverantwortlichen des Landes in diesem Jahr ein ähnlich umfassend resümierendes und die Besucher begeisterndes Großereignis gelungen.

Man kann also mit hohen Erwartungen auf das Luther-Jahr 2017 vorausblicken, auf den 500. Jahrestag des Thesenanschlags und des Beginns der Reformation, der in Wittenberg, am Ort der Tat und am Ziel der zu erwartenden Pilgerströme, umfänglich begangen und seit vielen Jahren planerisch vorbereitet wird. Derzeit wird die thesenberühmte Schlosskirche restauriert und das Schloss zum Ausstellungs- und Tagungszentrum ausgebaut.

Erstaunlich lebensnah: Cranachs um 1540 entstandene Porträtzeichnungen

Auch für das zentrale Ereignis der diesjährigen Landesausstellung, für die Schau zum Werk von Lucas Cranach dem Jüngeren, dem wichtigsten Bildpropagandisten der Reformation, haben die Veranstalter am Ort seines Wirkens in Wittenberg ganz neue Räumlichkeiten geschaffen. Vom viel besuchten Lutherhaus aus, dem ehemaligen Augustinerkloster, das die weltweit größte Sammlung zur Geschichte der Reformation birgt, wurde ein gläserner Verbindungsgang zum vorne an der Straße liegenden Augusteum, dem verbliebenen Rumpfbau der ehemals blühenden Wittenberger Universität, gezogen. In den zwei künstlich ausgeleuchteten unteren Etagen des Augusteums kann sich der jüngere Cranach, der Sohn des schon zu Lebzeiten berühmten Meisters, erstmals gegenüber dem Vater und der Werkstatt als klug die Konzepte weiterdenkende Schöpferpersönlichkeit profilieren. Er wird in der Ausstellung also vom Ruf der Epigonalität befreit. Wer sich den Autoren der Ausstellung und des mächtigen Katalogs anvertraut, der wird in deren Urteil einstimmen: Lucas Cranach, der 1515 in Wittenberg geboren wurde, quasi in der väterlichen Werkstatt aufgewachsen ist und nach dem Tod des Vaters das gemeinsam zum Erfolg geführte Unternehmen zu einer der größten Kunstwerkstätten Europas ausgebaut hat, kann nach den jüngsten stilistischen und maltechnischen Untersuchungen als einer der feinfühligsten Porträtisten seiner Zeit und als der einflussreichste Bild-Erfinder des Protestantismus gefeiert werden.

Die überzeugendsten Beweisstücke für Cranachs Fähigkeit, Menschen mit ihren physischen Besonderheiten lebendig vors Auge zu rufen und gleichzeitig als Individuen zu charakterisieren, sind die dreizehn um 1540 gefertigten Porträtzeichnungen von Mitgliedern des sächsischen Herrscherhauses, die in Reims verwahrt werden und jetzt erstmals geschlossen in Deutschland zu sehen sind. Sie sind im 18. Jahrhundert als vermeintliche Dürer-Originale nach Frankreich verkauft worden, würden in ihrer naturalistischen Wahrhaftigkeit heute aber wohl eher dem zeichnerischen Werk von Hans Holbein dem Jüngeren zugeschlagen werden. Wie Holbein lässt Cranach in seinen mit schwarzem Stift gezeichneten und mit Tempera subtil getönten Bildnissen die Physis der Porträtierten in verblüffender Lebendigkeit und Natürlichkeit aus dem Papier hervorwachsen. Man glaubt all den Köpfen in ihrer anatomischen Unterschiedlichkeit irgendwann schon einmal begegnet zu sein.

1 / 7
(Foto: Ev. Stadtkirche St. Marien/Juergen Pietsch)

In der Marienkirche in Wittenberg hat der ältere Cranach das Heilige Abendmahl in die Gegenwart geholt. Rechts nimmt Luther einen Becher entgegen.

2 / 7
(Foto: Musée des Beaux-arts Reims)

Früher dem Vater, heute dem Sohn zugeschlagen: Bildnis Philipp I. von Pommern.

3 / 7
(Foto: Nasjonalmuseet for kunst, arkitektur og design Oslo)

Die schöne Jägerin: "Ruhende Quellnymphe", 1550.

4 / 7
(Foto: Museum of Fine Arts, Houston/Straus Collect.)

Nachträglich dem Sohn zugeordnet: "Der Sündenfall (Adam und Eva)", 1549.

5 / 7
(Foto: Statens Museum for Kunst Kopenhagen)

Eine Auftragsarbeit des Kardinals Albrecht von Brandenburg: "Herkules bei Omphale", 1535.

6 / 7
(Foto: Národni galerie v Praze)

Die Identität des Paares konnte bisher nicht geklärt werden: "Porträts eines 44-jährigen Mannes und einer 38-jährigen Frau", 1566.

7 / 7
(Foto: Staatsgalerie Stuttgart)

Skizzen unter anderem zum verschollenen Epitaph des Nordhäuser Bürgermeisters Michael Meyenburg: "Studien von Köpfen und Händen", um 1558.

Cranach konnte im spontanen Medium der Zeichnung also Leben so glaubwürdig erfassen wie nur ganz wenige Künstler seiner Zeit. Doch auf den offiziellen Hof- und Standesporträts, die er nach seinen subtilen Zeichnungen gemalt hat, scheinen die vorgestellten Individuen im Prunk der Gewänder und hinter den überdeutlich ausgestellten Standesinsignien irgendwie zu verblassen. Man hat den Eindruck, dass den Abgebildeten, die ja fotografisch stimmige Konterfeis ihrer Gesichter nicht kannten, die Darstellung des gesellschaftlichen Rangs auf den Bildern wichtiger war als physiognomische Ähnlichkeit oder psychologische Glaubwürdigkeit.

Überhaupt ging es in den Jahren, in denen der jüngere Cranach seine Handschrift entwickelte - es waren die Jahre der ersten Konfessionskriege, in denen die Reformationsbewegung schwere Rückschläge erlitt - den Auftraggebern von Bildern weniger um persönlichen Glanz als um die Zugehörigkeit zur richtigen Seite. Die in die Ausstellung geholten religiösen Bilder Cranachs, vor allem aber die großen, ins Zentrum des kirchlichen Geschehens gerückten Reformationsaltäre in Wittenberg, Dessau und Weimar zeigen, wie der Sohn die vom Vater visualisierten Grundgedanken der neuen Botschaft in volkstümlich erzählende Bilder übersetzt hat. Ein fabulierender Gedankendeuter wird sichtbar, der sein Talent offen in den Dienst der sich formierenden Kirche stellte, der aber, wie Bilder in der Dresdner Gemäldegalerie zeigen, tolldreist losfantasieren konnte, wenn ein Fürst sich als Herkules sehen wollte, der von Pygmäen gepiesackt wird.

Der mächtige Flügelaltar im Chor der Wittenberger Marienkirche ist ein Haupt- und Gemeinschaftswerk von Vater und Sohn Cranach und ein Pflichtstück für alle Wittenberg-Besucher. Auf der Mitteltafel hat der Vater 1547 das biblische Abendmahl protestantisch neu gedeutet. In einem gewölbten Raum, der sich auf eine ausnehmend prächtige Landschaft öffnet, sitzen die Jünger in recht unkonventioneller Ordnung um einen runden Tisch herum. Jesus nimmt nicht wie üblich die Mitte des Bildes ein, er agiert vom linken Bildrand aus, spendiert seinen Segen also nicht frontal auf die Betrachter zu, sondern in die vor ihm sitzende Runde hinein, die wie die Flusslandschaft im Hintergrund recht wittenbergisch aussieht. Einer der bärtigen Jünger hat sich zu dem hinter ihm stehenden Mundschenk umgedreht, um einen großen Becher Wein entgegenzunehmen - es ist Junker Jörg, also der bärtige Martin Luther der Wartburgzeit, der, von Kaiser und Papst verfolgt, damals von Cranach als Apostel des neuen Denkens porträtiert und der Welt überliefert worden war. Die tröstliche Botschaft, die Cranach mit dieser auf die Gegenwart bezogene Abendmahl-Darstellung verkündet, lautet also: Der Segen, den Jesus seinen Jüngern beim Abendmahl gespendet hat, wird nach der neuen Lehre allen Menschen, die daran glauben, als Gnade zuteil.

Nicht nur die ersten Jünger genießen den Segen Jesu, sondern alle Gläubigen

Schon auf diesem Altarbild hat der alte Cranach also einen Zeitgenossen, den jeder kannte, listig schmunzelnd in eine biblische Geschichte, in den bislang so hermetisch geschlossenen Zirkel der Heiligenfiguren, also in die katholische Verbotszone hineingeschmuggelt. Ein paar Jahre später ging sein Sohn in einer ebenfalls großformatigen Abendmahl-Darstellung für den Dessauer Hof konsequent weiter; sie ist in der dortigen Johanniskirche und in einer Zweitfassung in der Wittenberger Ausstellung zu erleben. Das Abendmahl findet nun in einem prächtigen Ritter- oder Ratssaal mit Kassettendecke und steinerner Mittelsäule statt. Jesus, der tragende "Eckstein" der Kirche, sitzt zentral vor dem Sockel dieser Säule. Als seine Jünger haben sich die Wittenberger und Dessauer Reformatoren um den Tisch versammelt. Luther und Melanchthon sind gut zu identifizieren. Die Stelle des Lieblingsjüngers Johannes aber nimmt Fürst Georg III. von Anhalt ein, der erste evangelische Bischof.

Jesus ist hier also nicht mehr das der Welt enthobene Objekt der Anbetung, nein, er weilt, wie er es verkündet und wie Luther es übersetzt hat, "mitten unter" denen, die sich "in seinem Namen" versammelt haben. Vor der festlichen Abendmahlstafel aber hat sich Lucas Cranach selber als Mundschenk aufgebaut: Er, der in seinem Hof am Wittenberger Markt neben einer Apotheke auch einen Weinausschank betrieb, hat einen riesigen Zuber mitgebracht, aus dem er den um Jesus versammelten geistlichen Herren in großen Gläsern Rotwein kredenzt. Luthers geradlinige Ausdeutung der Bibel generiert beim jüngeren Cranach Bilder, die in ihrer aufgeklärten Religiosität und ihrer renaissancehaften Welthaltigkeit zum Besten gehören, was um 1565 in Deutschland erdacht und gemalt worden ist.

In Wörlitz ist zu erleben, wie hoch Cranach schon im Klassizismus geschätzt worden ist

Wer die zentrale Ausstellung im Augusteum besucht, darf den Abstecher zur nahen Marienkirche also nicht versäumen: Dort ist um den großen Reformationsaltar und die vom Sohn gemalten sechs bürgerlichen Epitaphien eine eigene lohnende Ausstellung zusammengestellt worden. Auch der Besuch von Dessau ist dringend zu empfehlen, weil die dortige Johanniskirche drei große Tafelbilder der Cranachs birgt, aber vor allem auch, weil dort im Johannbau eine wunderbar anschaulich vom Vater zum Sohn führende Gesamtschau mit Spitzenwerken beider zu sehen ist.

Und wer schon in Anhalt unterwegs ist, darf natürlich auch das zwischen Wittenberg und Dessau gelegene Gartenparadies Wörlitz nicht auslassen. Im dortigen "Gotischen Haus" waren Cranach-Bilder von Anfang an ausgestellt. Nun wurde die bildnerische Urausstattung des Hauses aus der Zeit um 1800, also eine der frühesten systematischen Gemäldeordnungen, rekonstruiert. Sie zeigt, welch hohen Rang man den Cranachs im Kreis der großen Meister immer schon zuerkannt hat.

Die nationale Großveranstaltung "Wege zu Cranach", die in Franken eingeläutet und in den thematisch fundierten Ausstellungen auf der Wartburg, in Gotha und Weimar fortgeführt worden ist, findet nun in Sachsen-Anhalt ihren Abschluss und ihre Krönung. Und nun am Ende des "Cranach-Wegs" dürfen wir es mit Überzeugung sagen: Es hat zwei Maler mit dem Namen Lucas Cranach gegeben, deretwegen sich eine Reise in die Mitte Deutschlands lohnt.

.

Lucas Cranach der Jüngere - Entdeckung eines Meisters im Augusteum Wittenberg bis 1. November. Katalog (Hirmer Verlag): 29,90 Euro. Zu den weiteren Ausstellungen in der Marienkirche und in den Cranach-Höfen in Wittenberg, zu den Dorfkirchen mit Cranach-Bildern und zu den Schauen in Dessau und Wörlitz und ihren Katalogen siehe Info: www.cranach2015.de.

© SZ vom 03.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: