Kunst:Ordnung ohne Hierarchie

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Mondrian, Klassiker der Moderne, malte erst Landschaften, aber nach der Wende zur Abstraktion verachtete er die Natur. In Berlin versucht jetzt eine Ausstellung, die Entwicklung des Künstlers zu erklären.

Von Stephan Speicher

Im September 1968 wurde die Neue Nationalgalerie in Berlin mit einer Piet- Mondrian-Ausstellung eröffnet. Die Bilder hingen auf Tafeln von der Decke des gläsernen Obergeschosses, konservatorisch war das bedenklich. Aber das Zusammenspiel der Architektur Mies van der Rohes und der Gemälde Mondrians muss in solchem Schwebezustand einen hinreißenden Eindruck von Ordnung und Freiheit gemacht haben - was in West-Berlin, in einem Haus 250 Meter vor der Mauer, auch politisch nicht unwillkommen gewesen sein wird. Jetzt, 47 Jahre später, gibt es wieder eine Mondrian-Ausstellung in Berlin, diesmal im Martin-Gropius-Bau. Doch sie zielt auf einen neuen Punkt.

Von dem Niederländer Mondrian (1872- 1944) hat man meist die längst klassisch gewordenen Bilder vor Augen, die seit etwa 1920 entstanden: Kompositionen aus senkrechten und waagerechten schwarzen Linien, die rechteckige Flächen bilden, zum größeren Teil in den Nichtfarben weiß und grau, zum kleineren Teil farbig, meist in den Grundfarben gelb, blau und rot. Außerdem bekannt sind die unter dem Einfluss des Kubismus entstandenen Bilder seit etwa 1912, die aus kurzen senkrechten und waagerechten Linien zusammengesetzt sind, auf Abbildhaftigkeit weitgehend oder ganz verzichten und in denen schon mit Farbfeldern gearbeitet wird. Dass Mondrian, bevor er so malte, ein Landschaftsmaler war, das ist nicht unbekannt. Die Literatur berichtet ausführlich darüber und bietet auch genügend Abbildungen, aber ins öffentliche Bewusstsein ist das nicht vorgedrungen.

Eine Ausstellung, die sich konzentriert und eine These hat - das ist sympathisch

Das will die neue Ausstellung ändern. Hans Janssen hat sie zusammengestellt und sich dabei vor allem der Bestände des Gemeentemuseums in Den Haag bedient. Sympathisch ist, dass der Besucher nicht in der Fülle des Materials ertränkt wird, dass die Ausstellung sich auf einen Künstler und seine Entwicklung konzentriert und auch eine These formuliert, die von der einer durchgehenden Entwicklung Mondrians. Danach war das Neue in Mondrians Bildauffassung nicht eine jähe Entscheidung nach der Begegnung mit dem Kubismus etwa, es war, wie Janssen meint, eine "Form des Wiedererkennens, das sich nur aus den eigenen Arbeiten heraus erklären lässt". Im Zeichnen habe Mondrian das Malen verändert, das habe in ihm die Empfänglichkeit für Rhythmus und Balance geweckt. Und so trägt die Ausstellung den Untertitel "Die Linie".

Der frühe Mondrian malt vor allem Landschaften, gelegentlich Architekturansichten, selten Porträts. Ist er ein guter Landschafter? Man hat die Bilder gelegentlich mit der Haager Schule verglichen. Aber den Rang Johan Hendrik Weissenbruchs oder Willem Roeloefs etwa erreicht Mondrian nicht. Vieles wirkt ungelenk, die malerischen Mittel sind sehr entschlossen, fast grob eingesetzt. Ein pflügender Bauer ("Bei der Arbeit") schiebt sich durch bedrohlich gefurchtes Gelände. Die "Oostzuider Mühle am Abend" reckt sich in einen blau-gelb-grünlichen Himmel, und auch die rosigen Wolkenstreifen der "Großen Landschaft" sind ziemlich grell. Mondrian selbst hat behauptet, er habe nie "romantisch" gemalt, "ich sah mit den Augen des Realisten". Aber es fällt doch auf, wie oft die untergehende Sonne ihr Licht aus der Ferne auf Haus, Teich und Baum wirft. Ferne und fernes Licht aber sind aber ganz elementare romantische Motive.

Später hat Mondrian einen fast grotesken Widerwillen gegen die Natur erkennen lassen. Es wird berichtet, wie er in einem Pariser Restaurant den Platz wechselte, um nicht auf die Bäume des Bois de Boulogne sehen zu müssen. Das ist mehr als bloße Anekdote. In seinem großen Essay "Natürliche und abstrakte Realität" von 1919/20 geht es immer wieder darum, dass das einzelne Moment der Natur, ein Baum, eine Wiese, unschön ist im Vergleich zu dem, was sich geometrisch sehen lässt wie die schnurgerade Linie des Horizonts.

Die Harmonie dieser Kunst liegt im Nebeneinander von Allgemeinem und Individuellem

Hans Janssen, der Kurator, sieht in den frühen Werken Mondrians eine fortschreitende Emanzipation der Linie, die den abstrakten Werken vorangegangen sei. Aber so konstruktivistisch sind die Landschaften kaum angelegt. Und was ist schon gesagt mit einem Satz wie diesem: "So verleiht Mondrian seiner Welt nicht nur Ausdruck, sondern erweckt sie darüber hinaus wie von Zauberhand zum Leben"? Will man einer Verbindung zwischen den frühen Landschaftsbildern und den viel berühmten späteren Bildern auf die Spur kommen, so sollte man vielleicht weniger formal arbeiten als Mondrians eigene Theorie zur Hilfe nehmen.

Mondrian hat auf seine Überlegungen zur Malerei einigen Wert gelegt. Er hat sie ins Französische übersetzt und auf eigene Kosten drucken lassen. Es ist ein hochspekulatives Denken, auf willkürlichen Setzungen beruhend, aber nicht ohne innere Strenge. Danach soll die Malerei das Allgemeine ausdrücken, die Harmonie des Daseins, die im Ausgleich des Gegensätzlichen besteht. So ist der rechte Winkel, das Aufeinandertreffen des Waagerechten und Senkrechten, so schön und so wahr. Es ist ein stark platonisierendes Denken, dazu passen die geometrischen Ausdrucksformen der späteren Bilder. Aber ist es auch ein Denken, das auf das Ganze geht, dazu gehörte für Mondrian lange auch das Theologische und Kosmologische. Der Künstler befasste sich eine Zeit mit Theosophie (große Mode damals!) und bewahrte der Religion bis zuletzt seine Achtung. Und so kann man in den gelegentlich geradezu aufplatzenden Naturbildern mit ihren grellen Himmelserscheinungen einen Versuch sehen, hinter Fluss und Baum und Himmel den großen weltschaffenden Kräften Ausdruck zu verschaffen.

Vielleicht sprach Mondrian später so abfällig über Natureindrücke, weil er selbst das Gefühl hatte, kein Maler des Biologischen gewesen zu sein - auffällig ist sein Unwille gegen die gekrümmte Linie und vor allem gegen das Weibliche, das er dem Materiellen zuordnete. (Dem Männlichen soll dagegen, nicht weiter überraschend, das Geistige entsprechen.) Der Versuch der Berliner Ausstellung, die späten Meisterwerke ohne Bruch aus dem Frühwerk herzuleiten, scheint da sehr angestrengt. In den zwei letzten Sälen zum späteren Werk betritt man doch eine neue Welt. Und hier hat man in der Tat das Gefühl, vor Bildern einer besonderen Harmonie zu sehen.

Es ist eine Harmonie, die sich nicht allein aus der proklamierten "Äquivalenz" von Linie, Fläche und Farbe ergibt. Es liegt auch ein Ausgleich im Nebeneinander des Konstruktivistischen, Allgemeinen und des Individuellen. Die Linien, ohne Lineal gemalt, sind nicht ganz ebenmäßig stark. Die Winkel nicht ganz genau rechtwinklig. Die Farben nicht makellos flächig aufgetragen. Und so lebt in den Bilder das Unvollkommene neben dem Idealen. Über den schwarzen Balken schwebt immer ein leichter Schatten, das lässt sie vibrieren. Und zuletzt sind es Bilder einer Ordnung ohne Hierarchie.

Piet Mondrian. Die Linie. Martin-Gropius-Bau, Berlin, bis 6. Dezember. Katalog 25 Euro.

© SZ vom 04.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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