Kunst:Mehr Schönheiten sind einfach schöner

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Arbeitet sich da einer am "Bayerischen" ab? Das Münchner Lenbachhaus zeigt den Künstler Stephan Dillemuth.

Von Catrin Lorch

Ob Kunst schön sein muss, das war Mitte der Achtzigerjahre eigentlich keine Frage mehr. Ein Künstler wie Stephan Dillemuth, geboren 1954 und nach einer Ausbildung in München und Düsseldorf mehr an Punkrock und New Wave interessiert, stolperte vielleicht fast unvorbereitet in den Pavillon des Nymphenburger Schlosses, in dem die "Schönheitengalerie" hängt, die 38 Porträts von Münchnerinnen, die König Ludwig I. sich von Joseph Karl Stieler hatte malen lassen, darunter seine Geliebte, Lola Montez, aber auch Schustertöchter und Schauspielerinnen.

Die "Schönheitengalerie" muss für Stephan Dillemuth dann womöglich so ein Ding gewesen sein wie die Mona Lisa für Marcel Duchamp. Etwas, das man anders nicht wegkriegt als handgreiflich, mit dem Pinsel. Duchamp malte der Frau ein Bärtchen. Dillemuth hat die Frauen allesamt noch einmal gemalt. Wobei er eine ganz eigene Malweise entwickeln konnte, einen düsteren, fast schmuddelig-pastosen Farbauftrag, in dem die Spitzenkragen und Rosenkränzchen mehr strahlen als eine schimmernd weiße Haut. Stil war egal, Mitte der Achtzigerjahre, es waren ja Konzept- oder Medienkunst angesagt, beim Malen war er ganz frei.

Ist die Dillemuth'sche Version der Urversion überlegen? Immerhin, darauf weist Matthias Mühling hin, der Direktor der Lenbachhauses, wo eine Retrospektive des Künstlers gerade eröffnet wurde, immerhin "enthält sie mehr Porträts", gleich zweimal sei jedes Bild kopiert worden. Das sind heute die Fragen: Denn das könnte bedeuten, dass man Schönheit als Maler nicht nur konservieren kann, sondern auch akkumulieren, womöglich multiplizieren. Und wenn das mit dem Schönen geht, dann vielleicht auch mit dem Wahren?

Im Begleitheft zur Ausstellung heißt es, dem Künstler sei Bayern - wo der in Büdingen geborene Künstler in einem Ausflugslokal in Bad Wiessee aufwuchs - eine "Reibungsfläche", schließlich habe er auch bayerische Trachten-Postkarten gesammelt und mit sehr bunten Farben und lockerem Pinselschwung nachgemalt. Die Hochformate hängen im Lenbachhaus in einem zeitgemäß mit Folie tapezierten "Spiegelsaal", Dillemuth experimentiert zudem auch mit Wortschöpfungen wie "Corporate Rokoko" und lässt schon mal eine hoch aufgetürmte Perücke explodieren.

Wo es haken könnte, wird geklittert: Das Zahnrad hält die Ausstellung in Schwung

Doch verkennt man diesen Künstler, wenn man seine aufrichtigen Versuche - beispielsweise mit dem Bayerischen oder der Opulenz des Rokoko - als ironisch oder dadaistisch abtut. Als Dillemuth studierte, in Düsseldorf und München, da beschäftigten sich die einen an der Akademie mit Leinwand und Farbe und der Meisterschaft der Malerei - und die anderen machten was Politisches mit Video oder Text. Und während es ersteren um Aneignung ging, praktizierten die anderen eine Art von Semantik und zerlegten gleich auch noch die Spielregeln und Konventionen der Kunst in ihre Bestandteile, was man Institutionskritik nannte. Bei Dillemuth verhält es sich genauso, will man vor den überraschend virtuosen Leinwänden sagen. Genauso wie im ersten Fall und im zweiten Fall.

Dillemuth setzte das Malen genauso stupend fort, wie er in den Neunzigerjahren mit seinem Raum "Friesenwall 120" in Köln zu denen gehörte, die im Umfeld des Magazins Texte zur Kunst das Nachdenken über die eigene Disziplin erheblich beförderte. Seine Ausstellung im Lenbachhaus, diese fast barocke Inszenierung von Gemälden auf Leinwand, Fragmenten von Körper-Abgüssen, Monitoren, rotierenden Überwachungskameras und dekorierten Vitrinen trägt den überraschend trockenen Titel "Regulär 10 Euro Ermäßigt 5". Wo es haken könnte, wird geklittert: Das Zahnrad ist Dillemuth ein Lieblingsmotiv, genauso wie die Ziege, die in seinem Atelier den Platz der Muse einnimmt. Ein paar drehende Zahnräder, mit etwas Gold bestrichen, halten im eleganten Lenbachhaus das Arrangement aus Schweineohren, Rehfüßen und kalkweißen Torsi in Bewegung.

Der Kunstvermittler Dillemuth weiß, dass das Gelingen von Kommunikation die Ausnahme ist

Die Frage, ob eine so ungerührt wie anspielungsreiche Kunst überhaupt verstanden wird, erledigt Dillemuth schon im Eingang. Er hat an der Münchner Akademie auch Kunstvermittlung gelehrt und weiß, dass das Gelingen von Kommunikation die Ausnahme von der Regel ist. Das Bild dafür ist ein Scheinwerfer, der eifrig blinkend den binären Code in Lichtzeichen übersetzt, der im Jahr 1974 vom Arecibo Teleskop in Puerto Rico aus ins All gesendet wurde mit Informationen über die Menschheit, über DNA, Zahlen, den Planeten Erde.

Kam sie an? Angeblich hatten die Forscher bei ihren Berechnungen übersehen, dass die Milchstraße rotiert. Dillemuth hat unter dem Licht frisch gekochte Spaghetti in einem Kreis arrangiert. Das Weltverständnis, es ist ein ziemliches Knäuel. Aber schön.

Stephan Dillemuth. Regulär 10 Euro Ermäßigt 5. Lenbachhaus, München. Bis 9. September.

© SZ vom 17.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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