Kunst:Lithium statt Hostie

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Religion sei Opium fürs Volk, sagte Karl Marx. Der Künstler Matthias Hirtreither ersetzt die Hostie in seiner Monstranz gleich durch Lithium. (Foto: oh)

Ateliertage im heiß umkämpften Domagk-Gelände: 70 Künstler öffnen ihre Türen. In Halle 50 läuft eine Schau mit symbolträchtigen Installationen wie die Monstranz von Matthias Hirtreiter

Von Jürgen Moises

Eine Monstranz als Apparat, der Zukunftsängste heilt? Vielleicht ist das genau das, was die Domagk-Ateliers brauchen. Oder gleich die "Zeichenmaschinen", die Marta Fischer auf ihren expressiven Ölgemälden darstellt. Denn wer eine Zeichenmaschine hat, braucht keine Künstler und damit auch keine Ateliers. Die Ateliernot in München wäre so kein Problem mehr. Matthias Hirtreiters große Monstranz aus Ton ist genauso wie Fischers Gemälde an diesem Wochenende bei den Domagk-Ateliertagen zu sehen - in der Ausstellung "Apparate" in der Halle 50, die schon eine Woche läuft. Die Monstranz ist dort Teil einer Installation mit dem Titel "Wandlung". Zu dieser gehören auch noch zwei mit Glocken versehene Porzellan-Heuschrecken.

Für Hirtreiter stehen die Heuschrecken symbolisch für eine böse Prophezeiung. Sie können Ängste auslösen, die sich bis zur Krankheit steigern. Die Monstranz soll diese heilen. Und zwar durch ein Stück Lithium, das sich anstatt einer Hostie im Zentrum der Monstranz befindet. Lithium wird in der Psychiatrie als Medikament eingesetzt. Aber ob es auch die Existenzängste der Künstler im Atelierhaus lindert? Die sind nach den Querelen um die Neubelegung im vergangenen Jahr bei einzelnen Künstlern immer noch zu spüren. Denn auch wenn die aktuellen Verträge noch bis 2019 laufen: Danach ist wieder alles offen. Dann wird erneut eine Jury entscheiden, wer bleiben darf. Letztes Jahr waren das noch etwa 60 von den ursprünglichen Domagk-Künstlern. Etwa 40 neue kamen hinzu. Wobei am Ende gar nicht alle Ateliers besetzt waren. Dass einige dann ohne Jurierung nachbelegt wurden, sorgte für weiteren Unmut. Ähnlich war es bei den Atelier-Tagen. Diese wurden früher von den Künstlern selbst organisiert. Dann übernahm 2014 die Stadt München die Organisation und hat sich laut dem Pressesprecher des Atelierhauses, Bernhard Springer, dabei leicht verhoben. "Sie haben extra Lichtkünstler aus Berlin geholt." Zumindest könnte das erklären, warum die Künstler die Atelier-Tage nun wieder selbst organisiert haben. Deswegen gibt es 2015 auch wieder eine Open-Air-Bühne, die am Freitag, 19.30 Uhr, am Samstag und Sonntag, jeweils 16 Uhr, bespielt wird. Dazu Performances, ein Open-Air-Kino und die Möglichkeit, 70 Ateliers zu besichtigen. Wegen der Konzerte und weil die neuen Künstler Atelier-Tage und Ausstellung mit organisiert haben, spricht Springer schon von der "Rückkehr des alten Domagk-Geistes". Ob Hirtreiters Monstranz etwas damit zu tun hat?

Domagk-Ateliertage , Fr., ab 16 Uhr, Sa./So., ab 14 Uhr, Margarete-Schütte-Lihotzky-S. 30

© SZ vom 03.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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