Kunst:Im Sack

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Louise Bourgeois im Berliner Schinkel-Pavillon - das ist tatsächlich ein kuratorischer Wunder-Coup. Hoch lebe Nina Pohl!

Von Catrin Lorch

So ein Thema ist eines für Dissertationen: Louise Bourgeois und der Sack. Wobei Motiv und Technik hier in eins fallen, weil die große, im Jahr 1911 in Paris geborene Künstlerin nicht nur viele Säcke aus unterschiedlichen Materialien in ihren Installationen verarbeitete, sondern der Sack, dieses lose aus Gewebe geformte Behältnis, für sie auch ein zentrales Motiv war. Als zartes Netz oder wulstiger Beutel - und, mehr weiter gedacht als geknüpft, als Gebärmutter.

Schon deswegen ist solch ein Ausstellungsprojekt eher eines für Museen. Weil Louise Bourgeois als eine der bedeutendsten Künstlerinnen der Welt gilt. Ihre "Maman", eine meterhohe Spinne aus Bronze, war das Werk, das als erstes in die gewaltige Halle der Tate Modern einziehen durfte und diesem rieisgen Raum standhielt. Ausstellungen zum Werk von Bourgeois - wie die ihrer "Zellen" 2015 im Haus der Kunst in München - erzielen Besucher-Rekorde. Doch weil die aus Kissen, Kinderkleidern, Stickereien, Strümpfen, Möbeln und Aquarellen zusammengesetzten Werke so rar und gesucht sind, haben schon die Kustoden und Kuratoren von Weltmuseen ihre Not, eine konzise Schau zu der Ausnahmekünstlerin zu organisieren.

Jetzt ist dem Berliner Schinkel-Pavillon mit "Louise Bourgeois. The Empty House" ein Coup gelungen. Die Betrachtung der "sack forms", der Sackformen, beginnt im oktagonalen Obergeschoss des kleinen Ausstellungshauses hinter der Staatsoper mit dem Käfig "Peaux de lapins, chiffons ferrailles à vendre" (2006). Das ist ein Kämmerchen aus Gitter, in dem Chiffonbeutel und beige und rosa Säcke hängen. Schon diese Formen aus fleischfarbenem Gewebe erinnern an Korsagen oder Strümpfe. Im Erdgeschoss wird die Verbindung zwischen dem Motiv des Sacks und dem Körper noch deutlicher: Beulen aus zarter Gaze sitzen auf Kleiderstoffen, einer Metallspinne quillt ein gefüllter Leinenbeutel aus dem Unterleib. Und in einer Glasvitrine steht "Umbilical Cord" (2003) - eine straff gestopfte Stoffpuppe, die unter ihren vorspringenden Brüsten einen Bauch aus rosafarbener Gaze trägt, in dem ein winziger Embryo liegt wie in einem Rucksack.

Dass die Vitrinen mit solchen Kostbarkeiten in dieser unrenovierten Architekturruine aufgebaut wurden, wo die mit roter Farbe gemalten Aquarelle direkt auf kaputten, türkisblauen Kacheln hängen, verleiht dem Werk der im Jahr 2010 verstorbenen Louise Bourgeois eine berührende Unmittelbarkeit. Die Künstlerin Nina Pohl, die den Schinkel-Pavillon seit dem Jahr 2002 als Kunstverein leitet, hat die Arbeiten gemeinsam mit Louise Bourgeois' ehemaligem Assistenten Jerry Gorovoy arrangiert. Doch dieses Ausnahme-Projekt trägt vor allem die Handschrift von Nina Pohl - und spätestens mit dieser Ausstellung hat sie diesen Ort, weit abseits all der unzähligen angesagten Spaces, Hallen, Kunstfabriken und Sammlermuseen Berlins, als eigenes, unübertreffliches Format etabliert.

© SZ vom 28.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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