Kunst:Ich bin ich

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Eine Ausstellung in der Frankfurter Schirn zeigt die sehr unterschiedlichen Künstlerinnen der Avantgarde, ohne die es in Deutschland keine Moderne gegeben hätte.

Von Kia Vahland

Diese Ausstellung hat etwas Beschämendes. Ein Jahrhundert ist es her, dass Avantgardistinnen um den Galeristen und Herausgeber Herwarth Walden Furore machten - und jetzt, im Jahr 2015, stellt die Frankfurter Kunsthalle Schirn sie erstmals gemeinsam in einer großen Schau vor? Wäre das nicht eher die Aufgabe der Museen in den Zwanzigerjahren gewesen? Dann hätten sich im weiteren 20. Jahrhundert ausführliche Retrospektiven der einzelnen Damen anschließen können, sodass nun Raum wäre für Einzelaspekte ihrer Œuvres. Eine Ausstellung über Technikglaube und Theatralität bei Lavinia Schulz würde sich lohnen. Eine zu Maria Uhdens Verhältnis zur Exotik und wilden Tieren. Eine Schau zu Magda Langenstraß-Uhlig als Kriegsbeobachterin in den Lazaretten des Ersten Weltkriegs, eine andere zur Frage der Spiritualität in ihren späteren Abstraktionen. Und so weiter. Stattdessen drängeln sich nun 18 sehr unterschiedliche, allesamt innovative Künstlerinnen in den Sälen der Schirn.

Das kann man den Kuratoren kaum vorhalten, denn tatsächlich sind ja nur einige der hier vertretenen Namen einem großen Publikum bekannt: Sicherlich Gabriele Münter, die expressive Farbvirtuosin im Münchner Kreis. Mit einigem Abstand Sonia Delaunay mit ihren Kunst und Alltag prägenden Mustern und Alexandra Exter mit ihren technoiden Zukunftsvisionen.

Schon die große Marianne von Werefkin aber ist in der öffentlichen Wahrnehmung als Künstlerin hinter ihrem Gefährten Alexej von Jawlensky beinahe verschwunden. Die Russin lernte Herwarth Walden 1912 in ihrem Salon in der Münchner Giselastraße kennen, einem Denkraum der ästhetischen Moderne. Walden, immer auf der Suche nach Energiebündeln, engagierte sie fortan regelmäßig für seine Galerie "Sturm" - den Namen für die Ausstellungshalle und die Zeitschrift hatte sich seine erste Ehefrau Else Lasker-Schüler ausgedacht.

Marianne von Werefkin beriet Wassily Kandinsky - und unterstützte Kolleginnen

"Die Farbe bestimmt über die Form und unterwirft sie sich", verkündete Werefkin, die Wassily Kandinskys kunsttheoretische Beraterin war. Ungewöhnlich an ihrem Werk sind nicht nur die kalten Blau- und Grüntöne, die blutroten Tupfer und rosa Flächen - es sind vor allem die so unterschiedlichen Motive, denen sich die Künstlerin in diesen starken Farben eher hingibt, als dass sie sie "unterwirft". Sie kennt die alten Kopftuchdamen, die im Gänsemarsch in Vilnius zur Kirche pilgern. Und sie weiß um die violett schweigenden Trinker im städtischen Café, eine Zigarette im Mundwinkel. Zu Hause sitzen derweil, auch grünlich angelaufen, Werefkins bürgerliche Damen und ziehen einsame blasse Babys auf.

Nicht immer schaut die Malerin derart desillusioniert in die Welt, sie feiert auch die städtischen Bühnen, die Ballsäle, den Zirkus, das ganze öffentliche Leben - und beschreibt ebenso feurig Berge und Seen.

Viele ihrer Kolleginnen wenden sich ab von so viel malerischem Ausdruck. Die Emotionalität der Pinselstriche ist Lavinia Schulz suspekt, sie sieht den modernen Menschen auf der Theaterbühne und entwirft mit ihren Kostümen Figuren, die mehr Roboter als Harlekin sind. Und die russische Kosmopolitin Alexandra Exter wird zur Prophetin der Stadt mit ihrem "Kubofuturismus", einer spielerischen Symbiose aus Stilelementen des Kubismus, Futurismus und Suprematismus. Strukturen und Räume interessieren sie; in der Malerei und im Bühnenbild liebt sie waghalsig hohe Streben und strenge Geometrien. Ihre Fantasie richtet sich auf eine von traditionellem Ballast befreite Zukunft, die, wie ihre Kostüme für den Science-Fiction Film "Aelita" zeigen, auf dem Mars spielen könnte.

Eindrucksvoll ist, wie grenzüberschreitend diese Frauen denken. Sie publizieren außer bei Walden in kroatischen Kunstzeitschriften, führen ein Leben zwischen Moskau, Paris, Stockholm und München, öffnen sich dem, was kommt. Diese physische wie intellektuelle Beweglichkeit reizte Walden und seine zweite Gattin Nell, die das Netzwerk der Galerie am Laufen hielt.

Gezielte Frauenförderung betrieben die beiden wohl nicht. Es waren nur eben besonders viele Frauen, die unterschiedliche Strömungen zu synthetisieren vermochten, die Alltagskulturen erkundeten, sich prägen ließen, anstatt immer nur andere auf die eigene Linie bringen zu wollen. 30 weibliche Künstler vertrat Walden schließlich neben bekannten Männern wie Paul Klee, Pablo Picasso, Edvard Munch. Er hatte in dieser Vielfalt einen klaren Wettbewerbsvorteil - gerade weil er sich nicht nur für bereits am Markt etablierte Namen begeisterte.

Stilistisch, inhaltlich und vom Temperament her verbindet die "Sturm-Frauen" wenig. Warum auch, Geschlechtszugehörigkeit ist ein sehr kleiner gemeinsamer Nenner. Was diese Künstlerinnen teilen, ist nur ihre strukturelle Benachteiligung, die Schwierigkeit, den Beruf überhaupt lernen zu dürfen, den Mangel an Ausstellungsorten, die bösen Witze über "Malweiber" im dreckigen Kittel.

Das brachte einige von ihnen dazu, mit der eigenen Weiblichkeit zu fremdeln. "Ich bin kein Mann, ich bin keine Frau, ich bin ich", motzte Werefkin, und Else Lasker-Schüler legte sich ein männliches Alter Ego namens Jussuf zu. Frau sein zu dürfen, und dabei Ich zu sagen und zu malen, muss sich eine erst einmal leisten können.

Diese zögerliche Weiblichkeit allerdings führte nicht dazu, dass die Avantgardistinnen des "Sturm" die Frauenverachtung ihrer Zeit auf die Kolleginnen projizierten: Im Gegenteil, viele der von Walden geförderten Künstlerinnen korrespondierten, malten einander, ermunterten sich, achteten die anderen für ihre Eigenarten und Erfindungen. Solche Querverbindungen rechtfertigen eine gemeinsame Ausstellung - auch wenn es ernüchternd ist, im Jahr 2015 noch darauf hinweisen zu müssen, dass es in der Kunstgeschichte nicht nur die eine Ausnahmefrau gab, sondern viele große, sehr unterschiedlich arbeitende weibliche Talente.

Sturm-Frauen. Künstlerinnen der Avantgarde in Berlin 1910-1931. Schirn Kunsthalle, Frankfurt. Bis 7. Februar. www.schirn.de. Katalog (Wienand Verlag): 45 Euro.

© SZ vom 16.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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