Kunst:Francis Alÿs in Wien

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Hat er nicht gerade noch einen Eisblock durch Mexiko City geschoben? Jetzt überrascht der Belgier Francis Alÿs in der Wiener Secession.

Von Kia Vahland

Zugegeben, wir hätten ihn hier nicht erwartet, den alten Streuner. Hat Francis Alÿs nicht eben noch einen Eisblock durch Mexiko City geschoben, bis der auf dem heißen Asphalt dahingeschmolzen war? Und jagte der Belgier nicht gerade noch einen alten roten Käfer die Sanddüne hoch, immer wieder und immer vergeblich, und das nahe der mexikanischen Grenze zu den USA? Oder dieser Auftritt im Jahr 2001 auf der Biennale in Venedig: Anstatt selbst während der Eröffnung am Ufer entlang zu stolzieren und durch die Giardini zu flanieren, erledigte dies für den geladenen Künstler ein dressierter Pfau.

Nun also bespielt Francis Alÿs den zentralen Saal der Wiener Secession, diese goldbekugelte Schatzkiste ( Francis Alÿs: Le temps du sommeil, Die Zeit des Schlafes, bis 22. Januar, Info: www.secession.at). Der Architekt Joseph Maria Olbrich hatte das griechenlandselige Tempelchen im Fin de Siècle für seine Künstlerfreunde um Gustav Klimt errichtet. Ja, die Kunst wollte sich damals schon dem Leben zuwenden - allerdings nicht ganz so radikal wie Alÿs, dessen liebste Bühne die Bordsteinkante ist.

Das Licht in dem Saal blendet. Auf den zweiten Blick erscheint die Kunst als schmaler bräunlicher Fries entlang der Wände. Bei genauem Hinsehen handelt es sich um Miniaturen, mit dünnem Pinsel auf kleine Täfelchen getupft. Kurze Texte zwischen den Gemälden erzählen von den Spaziergängen des Künstlers durch unwirtliche, zumeist urbane Gegenden; es geht immer irgendwie ums Ausgesetztsein. Solange er läuft, schreibt Alÿs, raucht er nicht, scheitert er nicht, weint und malt er nicht. Irgendwann aber muss er doch gemalt haben in den Gehpausen. Die Bilder sehen aus wie die verstörenden Visionen eines schlafenden Menschen, der versehentlich begraben wurde; sie ploppen aus aufgerissenen, erdigen Flächen heraus. Ein Anzugträger hat einen Karton über den Kopf gestülpt und wird von einem Köter angekläfft. Erwachsene spielen Seilspringen, Taue verbinden sinnlos Bäume. Skelette tanzen im Reigen, ein Kerlchen würde im See ertrinken, könnte es sich nicht an einem großen Würfel festhalten.

Ein paar Häuser weiter beherbergt die Kunstakademie einen Altar von Hieronymus Bosch. Vielleicht hat Alÿs auf einer seiner Stadtwanderungen hierher einen Abstecher gemacht.

© SZ vom 17.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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