Kunst:Flop Art

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Die Londoner Tate Modern schreibt die Geschichte der Popkunst um, bleibt aber die Belege schuldig.

Von Alexander Menden

Es ist gut, dass Ausstellungsmacher manchmal von den ganz großen Namen einer Kunstbewegung abzusehen versuchen. Dass sie den Blick auf die Übersehenen, die unentdeckten Meister, die ebenso Engagierten wie zu Unrecht Marginalisierten lenken. Und ganz sicher ist der politische Aspekt der Pop-Art eine eigene Ausstellung wert. Immerhin war sie in den Sechziger- und Siebzigerjahren unter anderem ein kreatives Ventil politischen Dissidententums gegen Diktatur, Vietnamkrieg und Sexismus.

All das wollen die Kuratorinnen Jessica Morgan und Flavia Frigeri in ihrer Schau "The World goes Pop" in der Londoner Tate Modern zeigen, um damit, wie sie selbst sagen, "die traditionelle Story der Pop Art als Konsumentenkunst als falsch zu entlarven". Ein wackeres Unterfangen, und ein prinzipiell willkommener Gegenentwurf. Aber manchmal kann man die Grundidee einer Ausstellung nachvollziehen, sie gutheißen, nur um dann doch feststellen zu müssen, dass die Ausstellung an dieser Idee gescheitert ist. "The World goes Pop" ist so ein Fall.

Zunächst stellt sich die Frage, was alles als Pop-Art deklariert werden kann, bevor der Begriff allumfassend bis zur Bedeutungslosigkeit wird. Was zum Beispiel ist "Pop Folk Art", ein Begriff, unter den die knallig lackierten Auto-Kühlerhauben der Amerikanerin Judy Chicago eingeordnet sind? Es gibt kaum zwei Kunstrichtungen, die einander kategorischer ausschließen als Pop und Folk. Der Rumäne Cornel Brudaşcu sagt in einem Gespräch im Katalog selbst, er habe sich nie als Pop-Künstler gesehen. Tatsächlich ist das poppigste an seinen leicht verwaschenen, quasi-fotorealistischen Ölbildern, dass sie so aussehen, als habe eine Prog-Rock-Band ein Plattencover im Gerhard-Richter-Stil bestellt. Einen ganzen Raum verdienen sie sicher nicht, ebenso wenig wie Jana Želibskás nach einem indischen Tempel benannte Installation "Kandarya-Mahadeva" (1969): die Ecken des Raums sind mit Papierblumenketten behängt, die Wände und ein von innen beleuchteter, weißer Quader in der Mitte des Saals mit Umrissen nackter Frauen geschmückt. Statt Genitalien recken sie dem Besucher Spiegel entgegen. Dieser verspielt gemeinte Verweis der Slowakin auf tantrische Erotik kann nicht einmal im Ostblock der späten Sechzigerjahre besonders rebellisch gewirkt haben. Heute ist er schlicht überholt und irrelevant.

Was bleibt, ist wie ein Haufen Fußnoten, ohne dass man den Haupttext zu sehen bekommt

Dass Želibská so viel Platz eingeräumt wurde, liegt sicher auch daran, dass "The World goes Pop" versucht, weibliche Pop-Künstlerinnen zu ihrem Recht kommen zu lassen. Aber die Arbeiten, die hier zusammengetragen wurden, sind kein sonderlich starkes Argument für diesen Schwerpunkt. Das liegt zunächst am Epigonalen, das vielen Werken anhaftet: Ruth Franckens "Männerstuhl" (1971) und Nicola L's "Woman Sofa" (1968) wirken wie langweilige Antworten auf Fragen, die Allen Jones' fetischistische Frauenmöbel nie gestellt haben. Und wer einmal Richard Hamiltons Collage "Just What Is It That Makes Today's Homes So Different, So Appealing?" gesehen hat, die als Gründungsdokument der Pop Art gilt, erkennt Martha Roslers zehn Jahre später entstandenes "Woman with Vacuum, or Vacuuming Pop Art" als Abklatsch, der sich als Parodie tarnt.

Nun könnte man einwenden, dass viele arriviertere Popkünstler sich nicht weniger offensichtlich bei anderen bedienen - aber ohne Witz und Esprit ist keiner von ihnen erfolgreich. Zudem erweitern manche Stücke, obwohl von Frauen geschaffen, die Schau keineswegs um einen spezifisch weiblichen Blick. Zwar mag die Behauptung der Ausstellungsmacherinnen stimmen, dass die Spanierin Ángela García versucht, die "weibliche Ikonizität" (was immer das heißen soll) "die von den Massenmedien gefördert wird, zu dekonstruieren". Was sie bietet, sind pinke Frauen-Torsi in sub-Lichtenstein-Manier. Warum nicht gleich das Original?

Die in London nebeneinander gezeigten Künstler sind sich oft nie begegnet und kannten die Arbeiten der anderen nicht. Dass ihre Bildsprachen einander dennoch so sehr ähneln, streichen die Kuratorinnen als bemerkenswert heraus, als habe sich die bunte Ikonografie gleichsam aus den gemeinsamen Themen zu einem unbewussten gemeinsamen Stil entwickelt.

Der tatsächliche Grund ist banaler und wirft zugleich ein besonders grelles Licht auf den Mangel der Schau: Pop Art ist im Kern eben doch ein amerikanisches Phänomen, und alle Künstler und Künstlerinnen in der Tate arbeiten sich an den großen Figuren ab, an Warhol, Lichtenstein, Oldenburg, ohne sich je von ihnen lösen zu können oder die Wirkung ihrer besten Arbeiten zu entfalten.

Natürlich bleibt auch "The World goes Pop" nicht ohne Lichtblicke. Der in New York lebende Japaner Ushio Shinohara mit seinen wilden Plexiglas-Installationen zum Beispiel. Es gibt sogar echte Entdeckungen wie "Die Bestrafung" des Spaniers Rafael Canogar (1969), in der eine am Boden liegende Skulptur von einer Polizisten-Silhouette niedergeknüppelt wird - Pop Art unter Franco. Aber insgesamt macht die Abwesenheit wirklich bedeutender Hauptwerke das Ganze zu einer frustrierenden Erfahrung. "The World goes Pop" lässt den Besucher mit dem Gefühl zurück, einen Haufen Fußnoten gelesen zu haben, während der Haupttext dem Blick entzogen blieb.

The World Goes Pop. Bis 24. Januar 2016. Tate Modern, London. www.tate.org.uk. Katalog 29,99 Pfund.

© SZ vom 30.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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