Kunst:Der Zeiger steht auf Unbehagen

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Raqs Media Collective: „Untold Intimacy of Digits“ (2011). (Foto: Raqs Media Collective, 2018)

Das Raqs Media Collective aus Indien macht Globalisierung zum Thema. Eine Ausstellung in Düsseldorf wirkt überraschend trivial.

Von Michael Kohler

Auf der Welt gibt es weit über 24 Zeitzonen und doch gehen die Uhren überall gleich. Das ist zumindest beim Raqs Media Collective so, einer dreiköpfigen indischen Künstlergruppe, die auf analogen Uhren die Ortszeiten großer Metropolen aneinanderreiht und die Ziffern durch Emotionen ersetzt. Die Zeiger stehen nicht auf fünf vor drei, sondern auf Reue und Schuld, zwei Mal am Tag trifft Gleichgültigkeit auf Ekstase und Unbehagen auf Pflichtgefühl. 27 Uhren geben den Stand der Gefühle in einer Welt an, die in einer Schleife zumeist beklemmender Emotionen gefangen scheint.

Im Ständehaus der Düsseldorfer Kunstsammlung ist die Zeit der große Gleichmacher, wobei uns die Uhrzeiger jetzt auch noch die Gefühle diktieren. Schuld daran ist die Globalisierung mit ihren weltumspannenden Produktions- und Lieferketten, die, und das ist die unfreiwillige Pointe der ersten Raqs Media Collective-Ausstellung in Deutschland, wohl auch die Kunstwelt längst fest im Griff haben. Was Monica Narula, Jeebesh Bagchi und Shuddhabrata Sengupta über die Geschichte von Globalisierung und Kolonialismus berichten, fügt sich nahtlos in die westliche Perspektive ein. Nun kann man dem Kollektiv kaum vorwerfen, dass ihre Kunst auch in Berlin, London oder Paris entstanden sein könnte - sie also nicht indisch, dezentral oder postkolonialistisch genug wäre. Vorwerfen kann man ihm aber, dass man sich fragt, wo denn der ästhetische Mehrwert der eher simpel kodierten Werke liegt.

Die Zweifel am Raqs Media Collective setzen schon vor der Museumstür ein, wo zwei kopflose und ausgehöhlte Statuen englischer Könige die innere Leere der britischen Kolonialherrschaft in Indien symbolisieren. Mehr Ehrgeiz steckt in 16 lebensgroß von der Decke hängenden Piktogramm-Figuren, wie man sie von Notausgängen kennt, die aber panisch durcheinander rennen, laut Kurzführer sollen sie von "Transformationsprozessen" und der "Verheißung eines Neubeginns" erzählen.

Die Ideen des Raqs Media Collective wirken so entweder trivial oder verworren: Das Video "Re-Run" zeigt beispielsweise eine dicht gedrängte Menschenmenge, die dank Superzeitlupe vor Erregung vibriert. Dieses lebende Bild ist einer historischen Fotografie von Henri Cartier-Bresson nachempfunden, auf der chinesische Bürger 1948 aus Angst um ihre Ersparnisse eine Sparkasse stürmen. Die Endlosschleife zeigt die moderne Welt als ewige Wiederkehr von Krisenmomenten - doch einem Bild, das sich nicht bewegt, sondern von innen heraus pulsiert, sieht man die Rückkehr zum Anfang nun mal nicht an.

Raqs Media Collective. K21 Kunstsammlung NRW, Düsseldorf. Bis 12. August. Katalog 28 Euro.

© SZ vom 19.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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