Kulturgeschichte:Immer radikal, niemals konsequent

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Lorenz Jäger erzählt das Leben des extremen Denkers und rezeptiven Genies Walter Benjamin mit großer Anteilnahme, jedoch ohne ihn zum Märtyrer zu verklären.

Von Philipp Felsch

Vor fünfzig Jahren brach unter den Intellektuellen der alten Bundesrepublik der Streit um die richtige Lesart von Walter Benjamin aus. Es waren die Achtundsechziger, die den Vorwurf erhoben, Theodor W. Adorno und Gershom Scholem, die Herausgeber der 1966 erschienenen Auswahl von Briefen Benjamins, suchten durch gezielte Auslassungen die materialistische Wende in dessen Spätwerk zu verschleiern. Für Adorno und Scholem war der Marxismus der letzten Schriften dagegen nur aufgesetzt. Um die Lage vollends unübersichtlich zu machen, tauchte damals ein in der Suhrkamp-Ausgabe ebenfalls nicht enthaltener Brief auf, in dem der Lieblingsautor der Studenten dem notorischen "Kronjuristen des Dritten Reiches" Carl Schmitt am Vorabend von Hitlers Machtergreifung seine intellektuelle Reverenz erwiesen hatte. Für diejenigen, die den Liberalismus als eigentlichen Feind erachteten, trug selbst noch diese Verbindung zu Benjamins Nimbus bei.

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