Kultur:Zwischen Sitte und Begierde

Lesezeit: 2 min

Über die Gesellschaft Bayerns, als der "Tristan" komponiert wurde

Von Hans Kratzer

Obwohl die Menschen im katholischen Königreich Bayern gottesfürchtig lebten, hatten sie ihre Triebe nur mäßig im Griff. Auf den ersten Blick jedenfalls. Laut einer empirischen Untersuchung aus dem Jahre 1865 verzeichnete das fromme Bayern die meisten unehelichen Geburten - und zwar europaweit. Während in anderen Ländern nur vier bis acht Prozent aller Kinder unehelich geboren wurden, vermeldete die Statistik für Bayern eine Bankert-Quote von fast 20 Prozent. Freilich steckt hinter dieser Zahl ein soziales Problem. In Bayern durfte ja nur heiraten, wer die Erlaubnis der Behörden bekam, und die gab es nur, wenn eine Familie ernährt werden konnte. Den meisten Dienstboten blieb damit eine Eheschließung versagt. Auf diese Weise wurde die Amoral also staatlicherseits gefördert, während sie von der sittlich-bigotten Bürgerfraktion gegeißelt wurde. Vor allem, wenn die Zahl der in den Münchner Spitälern darbenden Syphiliskranken publik wurde. Die konnte, wie im März 1871, die Zahl hundert durchaus übersteigen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: