Kritik: Klassik:Erfreuliche Frische

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Der Geiger Ray Chen in Nymphenburg

Von Harald Eggebrecht, München

Vital, leutselig und geigerisch glänzend begabt, diesen Eindruck machte Ray Chen, Jahrgang 1989, unter anderem Sieger beim Brüssler Concours Reine Elisabeth 2009, vor sechs Jahren beim Münchner Debüt. Doch wirkte er eindimensional aufs Nurgeigen fokussiert. Verschiedene Stil-"Sprachen", Farb- und Ausdruckswelten der Musik schienen dem fröhlichen jungen Mann ziemlich egal zu sein.

Bei seinem Recital mit dem technisch ausgezeichneten, insgesamt aber allzu neutral spielenden Pianisten Julien Quentin im Hubertussaal von Schloss Nymphenburg zeigte sich erfreulicherweise, dass Ray Chen deutlich dazugelernt hat. Jetzt wird nicht nur perfekt gegeigt, sondern in vielem auch ernsthaft Musik gemacht. Ludwig van Beethovens erste Klavier-Violin-Sonate op.12, 1 hatte jene zupackende, unverzärtelte Frische und Klarheit, die Musik des jungen Beethoven auszeichnet. Dazu kommen Überraschungswitz und im besten Sinne gefühlvolle Kantilenen. Das meisterte Chen mit Lust und Spaß an Beethovenscher Plötzlichkeit und Unmittelbarkeit. In Camille Saint-Saëns' erster Violinsonate entfaltete er romantisches Sentiment und leichtfüßige Virtuosität mit Glanz und schnellem Geist. Das entsprach Chens unbefangener Zwischenmoderation. Eugène Ysaÿes 4. Solosonate verwirklichte Chen vor allem im Kopfsatz wunderbar durchartikuliert, während er in der Sarabanda etwas den rhythmischen und melodiösen Faden verlor. Bis zu Manuel de Fallas "Suite populaire espagnole" hatte der junge Geiger gezeigt, dass er zwischen Beethovens Originalton, Saint-Saëns' Klassizismus und Ysaÿes Expressionismus zu differenzieren weiß. Doch indem er de Fallas raffinierte Miniaturen dem "Dessert", wie Chen sagte, also der Welt der Zugaben zuschlug, verfehlte er den farbigen Geistreichtum dieser Charakterstücke. Vittorio Montis "Csárdás", Manuel Ponces "Estrellita" und John Williams' Melodie aus "Schindler's List" bot Ray Chen routiniert und fast ohne eigenen Impuls. Riesenbeifall.

© SZ vom 17.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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