Kritik:Allein unter Frauen

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Wie der weibliche Blick das Kino verändern kann: Sofia Coppolas Film "Die Verführten" erzählt eine alte Thriller-Geschichte im neuen Gewand.

Von Susan Vahabzadeh

Der Soldat McBurney (Colin Farrell) ist auf fremdem Territorium zusammengebrochen, und er findet bald heraus, dass es noch viel fremder ist, als er dachte. Ein Unionssoldat im tiefsten Süden, mitten im Bürgerkrieg, angeschossen liegt er im Wald, er kann nicht weg. Ein kleines Mädchen findet ihn und stützt ihn, sodass er es aus dem Wald heraus schafft, bis in den verwunschenen Garten nebenan, wo er bewusstlos wird. Die Damen in langen weißen Sommerkleidern laufen zusammen - Miss Martha (Nicole Kidman), die Lehrerin Edwina (Kirsten Dunst), noch ein paar kleine Mädchen. McBurney ist in einem Mädchenpensionat gelandet. Und anstatt ihn auszuliefern, schaffen die Frauen ihn ins Haus.

Das ist die Ausgangssituation in Sofia Coppolas Thriller "Die Verführten". Eine Konstellation wie bei Schneewittchen, nur ist Schneewittchen hier der schmuddelige Kerl, den die Frauen nun erst einmal waschen und pflegen. Dann wollen sie ihn ausliefern - es fallen ihnen aber Tag für Tag neue Gründe ein, warum das verfrüht wäre, unchristlich und falsch. Sie feilschen stattdessen um seine Blicke und seine Aufmerksamkeit.

Die Atmosphäre für diesen Thriller, die beklemmende Idylle, hat Coppola, zusammen mit ihrem Kameramann Philippe Le Sourd, ganz großartig eingefangen. Um die weiße Südstaatenvilla herum wuchert der Garten, die Blumen sind verblüht, aber die Natur erobert sich jeden Quadratzentimeter zurück, den die Frauen nicht im Zaum halten, seit ihnen die Sklaven davongelaufen sind. Die Ordnung ist in Gefahr.

Coppola macht aus den Flirts der Frauen herrlich komische Szenen

Coppola ist vorgeworfen worden, dass nun gar keine Schwarzen mehr hier vorkommen. In der alten Fassung, die Don Siegel 1971 gedreht hat mit Clint Eastwood in der Rolle des umhegten Mannsbilds, war die Haushälterin bei den Frauen geblieben; und der Bürgerkrieg, der Gegensatz von Schwarz und Weiß, war damals in "Betrogen" dann auch tatsächlich ein Thema. In der alten Fassung waren die Frauen im Pensionat übrigens wesentlich frivoler. Da hatte Miss Martha, die auf den ersten Blick noch viel spröder wirkte als in "Die Verführten", eine inzestuöse Beziehung zu ihrem Bruder. Feministisch war der Film allerdings nicht. Coppolas "Die Verführten" wurde nach der Premiere in Cannes immer wieder als feministischer Thriller bezeichnet. Man muss die Latte für Feminismus aber ziemlich tief hängen, damit "Die Verführten" darüberkommt. Ungefähr in der Höhe, in der um die Existenz einer weiblichen Sexualität nicht mehr gestritten wird und ein Minimum an Wehrhaftigkeit verhindert, dass sich sieben Frauen von einem versehrten Mann bedrohen lassen.

Dennoch ist "Die Verführten" eine Paradebeispiel dafür, dass Frauen anders erzählen, einen eigenen Blick haben auf eine Geschichte, die im Großen und Ganzen eigentlich dieselbe ist, die vorher ein Mann erzählt hat. Sofia Coppola hat aber eben einen anderen Zugang zu der Gruppendynamik, die hier am Werk ist. Die Frauen, sogar die kleinen Mädchen, reagieren auf den Mann in ihrer Mitte mit Veränderung; sie flirten, putzen sich heraus, beobachten ihn neugierig, werfen ihm verschämte Blicke zu. Herrlich komische Szenen macht Coppola daraus, kleine Sticheleien werden ausgetauscht, weil einer jeden an den anderen auffällt, dass das Kleid schulterfrei ist, sie eine Brosche trägt, die kleinste der Schülerinnen sich die Perlenohrringe der Lehrerin ausgeliehen hat und damit ins Krankenzimmer stolziert. Sie genießen seine Aufmerksamkeit. Und McBurney verteilt sie gleichmäßig an alle.

Alle haben etwas davon, McBurney hat einen sicheren Unterschlupf, die Damen Zerstreuung. Bis ein Machtkampf entbrennt. Sofia Coppola scheint eine Schwäche zu haben für Geschichten, die von der Dynamik entrückter Gruppen erzählen, von den selbstmordsehnsüchtigen Mädchen in "The Virgin Suicides" über den Hofstaat in "Marie Antoinette" bis zu dem kriminellen Teenie-Trupp in "The Bling Ring". Den "Verführten" sieht man gerne zu. Aber gerade in Zeiten von Gesellschaften, die mehr und mehr in entrückte Gruppen zerfallen, die sich auf keine gemeinsame Wirklichkeit mehr einigen können, ist es ein bisschen unbefriedigend, wie wenig sie dann aus dieser Dynamik macht. Als würde sie etwas sehen, ohne zu wissen, was es bedeutet.

The Beguiled , USA 2012 - Regie und Buch: Sofia Coppola. Kamera: Philippe Le Sourd. Mit: Nicole Kidman, Kirsten Dunst, Colin Farrell, Elle Fanning. Universal, 94 Minuten.

© SZ vom 28.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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