Kriegstagebuch:Im Schatten des Vesuv

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Der britische Offizier Norman Lewis kam 1944 nach Neapel - und schrieb großartige Notizen über Schwarzmarkt, Wunderglauben und Vulkanausbruch in der besetzten Stadt.

Von Maike Albath

Ein alter, dürrer Schrotthändler zieht im Januar 1944 mit seinem Handkarren durch die Gassen einer Kleinstadt bei Neapel und wird von einer alliierten Militärpatrouille kontrolliert. Erfreut bietet er eine Rolle Kupferdraht zum Kauf an: Er könne noch mehr beschaffen, falls Bedarf bestehe. Dass der Draht aus Telefonleitungen stammt, die von den Briten gerade erst verlegt wurden, ist ihm nicht bewusst. Der arme Mann landet im Gefängnis. Der Nachrichtenoffizier Norman Lewis, wegen seiner Italienischkenntnisse nach der Landung der Alliierten in Neapel stationiert, hält die Episode in seinem Tagebuch fest. Man zieht ihn hinzu, er sucht den klapprigen Händler im Gefängnis Poggioreale auf. Der naive Kleinganove tut ihm leid, und er bemüht sich, Einfluss zu nehmen. Umsonst. Das Gerichtsverfahren wird zur Farce, denn die Polizei kann den Angeklagten im überfüllten Poggioreale am Prozesstag schlichtweg nicht finden - er gilt als abwesend und bekommt die Höchststrafe, während seine Frau zu Hause verhungert. Die kriminellen Banden, die den Schwarzmarkt betreiben und Neapel längst wieder in der Hand haben, bleiben unangetastet.

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