Krieg und Kolportage:Das Immigranten-Virus

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In seinem Roman "Zombie Wars" sucht Aleksandar Hemon die Nähe zum Trash - aber wer die Geister der Balkan-Klischees ruft, wird sie schnell nicht mehr los.

Von Karl-Markus Gauß

Aleksandar Hemon, der "Nowhere Man" geschrieben hat (2002), einen interessanten Roman, und "Lazarus", (2008) einen exzellenten, zu Recht weltweit erfolgreichen Roman, traut dem Roman als literarischer Gattung nicht mehr viel zu. Das merkt man seinem neuen Buch "Zombie Wars" vor allem auf den ersten fünfzig Seiten an. Hemon legt darin ein so hohes Tempo vor, als wollte er Fans von Serientrash oder B-Movies zur Lektüre eines Buchs verführen, das alles, was jene an Bildern zu bieten haben, in der Schrift zu überbieten verspricht.

Gleich zu Beginn greift der 1964 in Sarajevo geborene, seit 1992 in Chicago lebende Autor so energisch wie beliebig auf, was an Versatzstücken der Unterhaltungsbranche herumliegt: Zombies, samt Hungerattacken auf splitternde Schulterstücke und dampfende Gedärme der Menschen, eine osteuropäische Migrantengruppe, die sich im Sprachkurs Mühe gibt, möglichst originell den Klischees zu entsprechen, die in zahllosen Balkan-Romanen über dämliche, aber sinnliche Osteuropäern verbreitet werden, viel Gewalt und wenig, dafür expliziten Sex. Und einen Helden, dem immer wieder die eigenen Hoden schmerzend in die Quere kommen, wobei ihm einmal sogar das anatomische Kunststück gelingt, sich kraftvoll auf selbige zu setzen. Bei so viel Ehrgeiz, es wild und packend anzugehen und die traurige Geschichte eines erfolglosen jüdischen Drehbuchautors 2003 mit dem moralischen, politischen und militärischen Desaster des Golfkriegs zu verknüpfen, leiden Stil und Sprache.

Aleksandar Hemon: Zombie Wars. Roman. Aus dem Englischen von André Mumot. Knaus Verlag, München 2016, 320 Seiten, 19,99 Euro. E-Book 15,99 Euro. (Foto: verlag)

Forciert witzig, auf zwanghafte Weise originell geht es dahin: "Sein Herz raste dem Infarkt entgegen, sein Hirn jedem Verständnis hinterher", heißt es von Joshua, der anfangs so viel Kaffee trinkt, dass er leicht halluziniert, und am Ende so bekifft ist, dass er den Überblick vollends zu verlieren droht. Es genügt Hemon nicht zu sagen, dass sein Held zu viele Tassen Kaffee in sich hineinschüttet, es muss humorig schon heißen, dass "Joshuas Koffeinspiegel längst den der Plantage in Ruanda erreicht hatte, von der sein Getränk vermutlich stammte". Seine Zähne sind nicht nur unregelmäßig gewachsen, sie bilden "eine ungleichmäßige Skyline". Bei diesem Bombast wundert es nicht, dass dem Übersetzer André Mumot, der wacker den stilistischen Haken des Autors folgt, manchmal das Gefühl für Rhythmus verloren geht: "Der Geist kann nur, solange der Körper dauert, sich etwas vorstellen."

Die neue Heimat USA ist gerade zum kriegerischen Vaterland aufgerüstet worden

Nur nach und nach beruhigt sich der Roman, und auf seine kraftmeierische Phase folgen faszinierende Passagen. Joshua ist 33, schreibt Drehbücher, von denen keines verfilmt wird, und hält sich mit Sprachstunden für osteuropäische Einwanderer über Wasser. Im Kurs "Englisch als Fremdsprache Stufe 5" begegnet er der Bosnierin Ana, die begabt, schön, sexy ist und vor allem diesen "unauslöschlichen Kummer" ausstrahlt. Sie ist mit einem vom Krieg traumatisierten Bosnier verheiratet, der einem Nebenbuhler genüsslich die Knochen brechen wird, aber im Grunde seines Herzens ein echter Balkanier ist, der nach solchen Exzessen hemmungslos zu weinen pflegt. In der Sprachgruppe lernt Joshua Menschen kennen, denen das Land ihrer Träume auf merkwürdige Weise fremd bleibt und die doch bereits dabei sind, dieses Land, das seit Jahrhunderten so viele Entwurzelte und Vertriebene aufgenommen hat, selbst zu repräsentieren.

Auch in dem Drehbuch-Kurs, den Joshua besucht, trifft er auf einen Migranten. Bega ist so erfolglos wie er, trinkt aber als Bosnier noch mehr und macht ihm vor allem den Status des "Überlebenden" streitig: Wer von beiden hat mehr Anrecht auf diesen Titel - der jüdische Amerikaner, dessen Vorfahren sich aus dem mörderischen Europa in die USA flüchten konnten, oder der bosnische Zuwanderer, der nicht ohne Stolz von sich und seinen Landsleuten sagt, "Die Bosnier schwimmen in der Katastrophe wie die Fische im Wasser"?

Seit einem skurrilen, grandios erzählten Fest ist Joshua Ana verfallen, der unglücklichen Frau, die mit einem Gewalttäter und einer Nervensäge von heranwachsender Tochter gestraft ist. Aber da ist ja auch noch Kimiko, Joshuas makellose Freundin, eine erfolgreiche Kinderpsychologin, deren Vorfahren aus Japan stammen: Sie hat ihr Leben praktisch und übersichtlich geordnet, alles verläuft in festen Strukturen, sodass es Joshua auf der einen Seite mit asiatischer Disziplin, auf der anderen mit osteuropäischem Chaos zu tun bekommt, und zwischen beidem kann es mit ihm nicht gut enden.

Seine eigene Mischpoche, die zerfallende jüdische Familie mit lauter kauzigen, miteinander verfeindeten, aufeinander angewiesenen Gestalten macht es ihm nicht leichter, sich in seinem Leben und in seiner Heimat zurechtzufinden. Und diese Heimat ist ja gerade zum "Vaterland" aufgerüstet worden und befindet sich im Krieg, der stetig präsent ist - in den endlosen Schleifen im Fernseher, der in jedem Lokal und jeder Wohnung stundenlang läuft.

Typografisch abgehoben, unterbrechen Episoden aus dem Drehbuch, das Joshua gerade schreibt, das Romangeschehen. Es heißt wie der Roman und zeigt einen Major Klopstock, wie er die Zivilisation vor den wütenden Massen gieriger Zombies zu retten versucht. Die Zombies aber, das ist die Pointe, sind die Scharen ungeliebter Immigranten, die von der Regierung mit einem Virus verseucht wurden und nun nichts wollen, als gutes amerikanisches Menschenfleisch zu verzehren. Warum? Ob wir es aus Joshuas fertigem Drehbuch erfahren werden, ist so ungewiss wie die Frage, ob Major Klopstock verhindern kann, dass die Menschheit aufgefressen wird. Sicher aber ist, dass Hemons Roman daran laboriert, dass er beides bieten will: Trash und Parodie des Trash, ein großes Aufgebot an folkloristischen Klischees und die Kritik daran - eben ein Buch für feinsinnige Leser, das lieber ein Film für das Massenpublikum geworden wäre.

© SZ vom 15.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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