Schauplatz Oslo:Lernen von der Hütte

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Die Künstlerin Marianne Heske provoziert ihre neureichen norwegischen Landsleute.

Von Silke Bigalke

Sie hat das kleine Haus am Straßenrand gefunden, etwa eine halbe Stunde von Oslo entfernt. Die rote Farbe blätterte längst ab, und eine große Tanne hatte sich an das Holz gelehnt, das von unten her verrottete. Die Künstlerin Marianne Heske ist oft daran vorbeigefahren, früher war es ein typisches Haus für einfache Leute in Norwegen, nun seit vielen Jahren unbewohnt. Als Heske erfuhr, dass das Haus einer Straße weichen sollte, bat sie die Behörden, es ihr zu überlassen. Sie zerlegte es und brachte es nach Oslo. Dort baute sie es wieder auf, direkt vor dem norwegischen Parlament, morsches Holz vor gelbem Stein, eine bescheidene Hütte vor einem prächtigen Regierungsgebäude. Beide Häuser sind etwa 150 Jahre alt, beide sind nun Sehenswürdigkeiten in Norwegens Machtzentrum. Am Straßenrand der E18 unten in Hobøl hat niemand das alte Haus beachtet. Nun müssen die Besucher manchmal davor Schlange stehen, weil sie nicht alle auf einmal hineinpassen.

Das Öl hat die Norweger reich gemacht - neureich

Drinnen sieht man zwei leere Zimmer und eine Küche, alles ist aus Holz, bis auf den Schornstein in der Mitte. Die Dielen sind grün, die Wände hellblau und gelb gestrichen. Der erste Stock ist gesperrt, zu gefährlich. Marianne Heske hat im Haus alles so gelassen, wie es war. Sie verändert nichts. Sie versetzt Dinge nur: die Hütte aus den Bergen am Tafjord zum Beispiel, die sie ins Centre Georges Pompidou nach Paris brachte, oder später den riesigen Steinbrocken von dort auf die italienische Insel Lido. Ihrem "House of Commons", wie sie die Osloer Hütte nennt, hat sie sogar die zerschlissenen Vorhänge vor dem Küchenfenster gelassen, auch wenn sie befürchtet, dass die Besucher kleine Fetzen abreißen. Der Stoff werde jeden Tag ein bisschen weniger, sagt sie. Das alte Bügeleisen auf der Küchenzeile ist noch da. In den Schränken stehen alte Farbdosen.

Was soll das Haus sein? Ein Plädoyer für das einfache Leben? Soll es den Gegensatz zwischen arm und reich zeigen? Zwischen Regierung und Regierten? Vergänglichem und Beständigem? Heske sagt, sie wolle mit ihren Gegenständen die Gedanken bewegen - in diesem Fall in Richtung Vergangenheit. Mehrere Menschen seien zu ihr gekommen und hätten erzählt, dass sie selbst einmal in genau diesem Haus gewohnt haben. Zwei von ihnen seien sogar unter diesem Dach geboren worden.

Aus dem Küchenfenster sieht man das luxuriöse Grand Hotel. Dort gab es kürzlich das Bankett zu Ehren der Preisträger des Friedensnobelpreises, die Königsfamilie war anwesend. Vor dem Stubenfenster liegt das Parlament. Den Volksvertretern dort bereitet derzeit vor allem der niedrige Ölpreis Kopfzerbrechen, denn Norwegens Ölfelder sind seine wichtigste Einnahmequelle. Das Erdöl hat Norwegen in relativ kurzer Zeit ziemlich reich gemacht. Neureich, sagt Marianne Heske. "Reich an Geld, aber nicht an Verstand." In ihren Augen sind die Norweger provinziell, sie beklagt ihr mangelndes Kunstverständnis. Nicht jedem gefällt das alte Haus im schönen Osloer Zentrum, manche haben sich bei ihr über das schäbige Ding beschwert.

© SZ vom 16.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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