Kommentar:Zwischen Ufos und Meteoriten

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Baukultur ist mehr als Architektur. Es ist eine die Baugeschichte fortschreibende Qualität des Alltags. Das muss man erklären und erfahren. An diesem Wochenende ist das beim Tag der Architektur besonders gut möglich.

Von Gerhard Matzig

An diesem Samstag ist der Tag des Ufos und am kommenden Freitag feiern wir den Tag des Meteors. Es ist sicher nur eine Laune der zur Fettsucht neigenden Gedenktagmode (die auch einen Tag der Jogginghose kennt) - aber die Architektur ist nun ausgerechnet zwischen die Ausnahmetalente Ufo und Meteor geraten. Dabei dürfte die Chance, an diesem Wochenende einem Haus zu begegnen, relativ groß sein. Schon im Vergleich zu unbekannten Flugobjekten. Und zwar auch deshalb, weil an diesem "Tag der Architektur", der eigentlich ein ganzes Wochenende umfasst (24. und 25. Juni), Tausende von neuen Bauten wie in einem gigantischen Freilichtmuseum der Gestaltkunst präsentiert werden.

In Recklinghausen kann man das neue Pfarrheim St. Paulus besichtigen, in Berlin den Waldorf-Campus und in München das "grüne Hinterhofhaus" mitten in der Au, bei dem Gerstmeir Inić Architekten zeigen, dass die allergrößte Baukunst oft darin liegt, den allerkleinsten Alltag zu gestalten. In diesem Fall auf einer Nutzfläche von nur 82 Quadratmetern. Es sind meist die unspektakulären Bauaufgaben, die einem klarmachen, dass es beim Bauen und in der Welt der Räume nicht um Quantität, sondern um Qualität geht. Wobei man die mittlerweile so selten antrifft in unseren Städten, dass man schon wieder geneigt ist, eher an die Existenz von Ufos als an jene der gegenwärtigen Baukultur zu glauben.

Den Tag der Architektur, an dem in allen möglichen deutschen Städten die Architekten und Bauherren die Türen zu ihren Raumerfindungen öffnen, gibt es seit 1994. In dieser Zeit wurden aus Expertenzirkeln zunehmend ganze Ströme von allgemeinen Besuchern, die sich für die gebaute Umwelt im Sinne von Lebbeus Woods interessieren. Demnach ist die Architektur die "öffentlichste aller Künste". Das Interesse am Bauen ist gewaltig. Architektur, ein Terrain also, auf dem sich Kunst, Technik und Ökonomie wie nirgendwo sonst nahekommen, ist längst zu einer Art Leitwährung der Gegenwart geworden. Umso erstaunlicher, ja unglücklicher ist es, dass sich Architekten und Öffentlichkeit so weit voneinander entfernt haben. "Die Entfremdung vieler Architekten vom gemeinen Nutzer- und Betrachtervolk", diagnostiziert selbstkritisch das Deutsche Architektenblatt, "ist weit fortgeschritten." Man pflege in Architektenzirkeln das, "was bei Soziologen Distinktion heißt und bei manchen anderen unfreundlich Dünkel".

So erklärt sich auch, warum die gesellschaftliche Rezeption des zeitgenössischen Bauens oft so paradox erscheint. Architekten werden bisweilen als Popstars verehrt und, schon das Wort tut in den Ohren weh, als "Star-Architekten" heroisiert - oder sie werden als Halbkriminelle beschimpft. Nach einer Umfrage zum Fiasko des Berliner Skandal-und-Witz-Flughafens ("Wer trägt die Verantwortung?") gab man mehrheitlich dem Architekten die Schuld. Zu Unrecht: Das Büro GMP hat den Pfuschbau tatsächlich nicht zu verantworten.

Analog dazu wird das Baugeschehen als Ganzes wahrgenommen: Prestigeträchtige Bauten, sogenannte Signature Buildings, die - von Hadid über Nouvel bis Gehry - oft nur den immer gleichen, im Grunde banalen Spektakel-Formalismus bedienen, werden gerade deshalb von den Bürgermeistern so gern zur Steigerung des eigenen Selbstbildes eingekauft. Als sei man bei Prada am Wühltisch. Gleichzeitig wird das zeitgenössisch formulierte Stück Architektur in der Nachbarschaft schon dann abgelehnt, wenn es nicht nach Hundertwasser oder Toskana aussieht. Genau dazwischen aber ereignet sich Baukultur, als eine die Baugeschichte fortschreibende Qualität des Alltags. Dafür muss man werben, das muss man erklären. Das ist zu begreifen. Zu begehen. An diesem Wochenende ist es besonders gut möglich.

© SZ vom 24.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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