Kommentar:Theater muss scheitern dürfen

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Christine Dössel ist Theaterkritikerin im Feuilleton. (Foto: Niemand)

Das Residenztheater in München hat die Aufführung von Peter Handkes Stück zurecht abgesagt.

Von Christine Dössel

Eine Premiere abzusagen ist für ein Theater ein harter Schritt. Meist kommen die Sachen plangemäß raus, oft nach der Devise: Koste es, was es wolle, der Lappen muss hoch! Wenn ein Haus trotzdem eine Produktion kurz vor der Premiere absetzt, wie nun das Münchner Residenztheater die Inszenierung von Peter Handkes neuem Stück "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße", gibt es gleich Spekulationen - von wegen Zerwürfnis, Chaos, Restriktionen. In der Presseerklärung heißt es: "Die künstlerischen Differenzen über Wege und Ziele waren zuletzt unüberbrückbar geworden." Handkes Bühnendichtung hätte am 10. März in der Regie von Philipp Preuss im Cuvilliéstheater Premiere haben sollen, knapp zwei Wochen nach der Uraufführung durch Claus Peymann am Wiener Burgtheater.

Ein Ersatzregisseur? Schwierig bei einem so unerprobten, schwierigen Text

Ein Skandal? Ach was. Inszenierungen sind künstlerische Prozesse, so komplex wie fragil. Dass da mal was schiefgeht, ist eher normal. Es gibt Regisseure, die sich verrennen. Andere werden krank oder werfen hin. Manchmal werden Produktionen deswegen abgesagt. In der Regel helfen in Problemfällen die Intendanten selber inszenatorisch nach oder holen jemand anderen, der die Proben zu Ende führt. Christian Stückl hat am Münchner Volkstheater 2003 nach dem Ausfall von Marco Kreuzpaintner dessen "Räuber" fertiginszeniert, so wie Johan Simons 2013 an den Münchner Kammerspielen kurzfristig "Onkel Wanja" von der erkrankten Karin Henkel übernahm. Und erst neulich kam vom Theater Meiningen die Mitteilung, Harald Clemen habe die Regie zu Tschechows "Kirschgarten" aus "persönlichen Gründen" niedergelegt, Patric Seibert übernimmt.

Dass nicht auch das Residenztheater einen Ersatzregisseur gesucht hat, ist bei einem so unerprobten, offenen und schwierigen Text wie dem von Handke verständlich. Da ist ein handfestes Drama von Schiller mit bekanntem Inhalt und klaren Figuren leichter zu übernehmen.

Im Münchner Fall habe es weder mit dem Verlag ein Problem gegeben noch internen Krach, sagte der verantwortliche Dramaturg Sebastian Huber der SZ. Man habe sich einfach irgendwann eingestehen müssen: "Das ist jetzt nicht mehr produktiv. Wir schaffen das nicht." So schmerzhaft so ein Scheitern auch ist - es sich einzugestehen ist ehrlich und hat mit Respekt und Verantwortung zu tun: gegenüber dem Text, dem Publikum, den Schauspielern und gegenüber der Kunst.

Natürlich ist so eine Absage bitter. Wie frustrierend muss das für die Schauspieler und Techniker sein, die umsonst gearbeitet haben. Im Spielplan fehlt eine wichtige Position. Und nicht zuletzt kostet das alles Geld. Trotzdem muss an einer Institution wie dem Stadttheater mit seinen festen Subventionen das Scheitern erlaubt sein. Wenn nicht hier, jenseits des marktökonomischen Diktats, wo dann?
Gutes Theater gibt es nicht ohne Risiko.

© SZ vom 20.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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