Kommentar:Kultur ist nicht harmlos

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Lothar Müller liest gerne die Geheimbundromane der Aufklärung. (Foto: SZ)

Nun treten die Arbeiten am Humboldt-Forum in die Endphase. Zeit, den verharmlosenden Begriff von Kultur zu verabschieden.

Von Lothar Müller

In einen sehr blauen Berliner Himmel schwebte der Richtkranz Richtung Kuppel, als am Freitag das Richtfest für den Neubau des Berliner Schlosses gefeiert wurde. In den Reden zuvor wurde der Rohbau mit Bildern seines künftigen Inhalts gefüllt. Auf diesen Inhalt, das Humboldt-Forum, zielte das Motto des Richtfestes, "Komm ins Offene!". Hinter der barocken Fassade des Hohenzollern-Schlosses will sich der Bauherr, die Bundesrepublik Deutschland, der Welt als Land der Offenheit und Gastfreundschaft vorführen. Nicht, indem es sich selbst zeigt, sondern indem es am zentralen Platz der Republik die aus den Dahlemer Museen kommenden außereuropäischen Sammlungen präsentiert. Der kosmopolitische Aufbruchsgeist und die wissenschaftliche Weltneugier der Brüder Wilhelm und Alexander von Humboldt soll die Selbstdarstellung der Deutschen im 21. Jahrhundert inspirieren.

Diese Kulturalisierung eines Baukörpers, der seine Gestalt und Dimension dem Ziel der Machtrepräsentation des aufstrebenden Preußen verdankte, findet in einer Zeit statt, in der das Gewicht Deutschlands als Machtfaktor in der Mitte Europas wächst. Nach der zeitweiligen Euphorie in den Jahrzehnten nach dem Mauerfall ist Europa wieder zum Krisenherd geworden. Im Prozess der europäischen Integration zerplatzen alle "postnationalen" Illusionen, und, ob im Nahen, im Fernen Osten oder in Afrika, auch bei den Nachbarn Europas dementiert das Zugleich von Krisenherden die Visionen einer unaufhaltsam zusammenwachsenden Weltgesellschaft.

Einer der unmittelbaren Nachbarn des Humboldt-Forums ist das Außenministerium. Die Kulturabteilung rückt darin unter Frank-Walter Steinmeier immer mehr in eine Schlüsselposition. Sie ist nicht mehr für das ornamentale Begleitprogramm zuständig, sondern soll kulturelles Wissen in die Konflikt- und Krisendiplomatie der Bundesrepublik einspeisen. In der Rhetorik, die das Humboldt-Forum von Beginn an begleitet, erscheint die Kultur, die in das ehemalige Gehäuse der Macht eines (untergegangenen) Staates einzieht, als Sphäre des Dialogs, des Austausches, der friedlichen statt militärischen Lösung von Konflikten. Kurz, als ideales Instrument der Diplomatie eines Staates, der Krisenmanager sein will.

Wenn eines von den konzeptionellen Arbeiten am Humboldt-Forum zu hoffen ist, die nun in die Endphase gehen, so wäre es die Verabschiedung dieses verharmlosenden Kulturbegriffs. Kultur war nie nur Gegenüber, immer auch Teil der Gewaltgeschichte, Konfliktquelle ebenso wie Dialog, nicht selten Brandbeschleuniger. Das gilt auch für die Museen, man denke nur an die Bedeutung des napoleonischen Kunstraubs für die Frühgeschichte des Louvre oder die des Kolonialismus für die Völkerkundemuseen. Nur ein Humboldt-Forum, das sich vom weichgespülten Kulturbegriff löst, wäre auf der Höhe seiner Gegenstände.

© SZ vom 13.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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