Kommentar:Flucht in die Schönheit

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Sonja Zekri ist Leiterin des Feuilletons. (Foto: N/A)

Die Elbphilharmonie in Hamburg, das Museum Barberini in Potsdam: In diesen Tagen flüchtet sich die Politik nur zu gerne in die Kultur, denn sie verspricht neutrales Terrain.

Von Sonja Zekri

Zwei wichtige Ereignisse sollten den Freitagabend prägen: Donald Trumps Inauguration und die Eröffnung des neuen Museums Barberini in Potsdam. Bundeskanzlerin Angela Merkel, so hatte sie erklären lassen, werde Trumps Rede "mit Interesse" studieren, aber am Freitag sei sie in Potsdam. Vor gut einer Woche fuhr sie begeistert die Rolltreppe der neu eröffneten Elbphilharmonie hinauf, bestaunte - wie auch Bundespräsident Joachim Gauck - mit großen Augen den neuen Saal.

Es gibt schlimmere Termine in der Politik, derzeit und überhaupt. Es ist ja, umgekehrt, eigentlich ganz angenehm, wenn Spitzenpolitiker in ihrem Kalender ein paar Stunden für die Kultur frei schlagen, irgendwo zwischen Krisentreffen zur Rettung der Demokratie, des Euro oder der transatlantischen Beziehungen. Nur verblüfft die Häufung.

In einem Spiegel-Interview erzählte Wolfgang Schäuble jüngst Musiker-Witze und schwärmte von Bachs Cellosuiten und Patrice Chéreaus "Elektra" im Berliner Schiller-Theater. Der Finanzminister, sonst ganz Disziplin und Nüchternheit, so lernt der Leser, ist empfänglich für Schönheit, hat eine zarte Seite, zeigt so viel Menschlichkeit, wie er zeigen kann, ohne sich zu exponieren.

Das wirft ein interessantes Licht auf die Frage, welche Funktion Kultur in der Politik erfüllt und welches Kulturverständnis dem zugrunde liegt. Die Zeiten sind, so viel ließe sich parteiübergreifend feststellen, aufgewühlt, das Land ist zerrissen, die Auseinandersetzung um vieles, was gestern noch gewiss war, oft hasserfüllt, ja, gewalttätig. Die Cellosuiten, die Rodin-Skulpturen im Museum Barberini, Schäubles Analyse von Schillers "Bürgschaft" scheinen aus einem nicht umkämpften, uneingeschränkt erfreulichen, über- oder nebenpolitischen Raum zu stammen, einem Restkonsens, auf den sich alle einigen können. Vor allem gilt dies natürlich für klassische Kunst. Noch die paranoidesten Regime, die Künstler ermordeten und das Wort zensierten wie etwa die Sowjetunion, pflegten die vermeintlich neutralen Klassiker.

Hundertprozentig geht diese Rechnung natürlich nicht auf, der rechte Rand hetzte gegen die Elbphilharmonie und wird sich über das Barberini nicht freuen. Dass die Politiker versuchen, Kunst als vermeintlich neutrale Instanz zu nutzen, zeigt nur, wie erschüttert das Land ist.

© SZ vom 21.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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