Kommentar:Alte Männer, junge Männer

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Eine der bekanntesten Feministinnen Schwedens wirft Schriftsteller Knausgård "literarische Pädophilie" vor.

Von Thomas Steinfeld

In dieser Woche erhielt Mats O. Svensson, Master-Student der Literaturwissenschaft an der Universität Uppsala und gelegentlich Literaturkritiker, einen persönlichen Brief in Gestalt eines Artikels in Dagens Nyheter, der größten Tageszeitung Schwedens. Darin teilt eine "Professorin der Literaturwissenschaft" dem jungen Mann mit, dass er, hätte er ihren Grundkurs besucht, keinesfalls bestanden hätte: "Du glaubst, dass du dir die goldenen Sporen im literarischen Betrieb verdienen kannst, wenn du dich mit einer alten feministischen Schreckschraube wie Ebba Witt-Brattström anlegst (. . .) Generationen von desperaten Möchtegernen sind in meine Umgebung gekommen (. . .) Viele, die sich vorgewagt hatten, verdorrten an Seele und Herz. Sie zerstörten ihr Leben (. . .)"

Ebba Witt-Brattström ist Professorin an der Universität Helsinki, ständige Gastprofessorin an der Humboldt-Universität zu Berlin und eine der bekanntesten Feministinnen ihres Landes. Vor zwei Wochen initiierte sie eine Debatte, indem sie unter anderem ein Interview mit dem norwegischen Autor Karl Ove Knausgård zum Anlass nahm, einen in Schweden länger geführten Streit um den "Kulturmann" zu aktualisieren - dies ist der Name eines Popanzes, der das weibliche Personal der Branche, fiktiv oder nicht, als Material des eigenen Begehrens benutzt. An Karl Ove Knausgård war Ebba Witt-Brattström zum Beispiel aufgefallen, dass es in seinem in Schweden erst jüngst erschienenen Erstlingswerk einmal um die erotische Anziehungskraft heranwachsender Mädchen geht. "Literarische Pädophilie" lautete ihr Befund.

Kein Tag vergeht seitdem in Schweden ohne einen weiteren Beitrag zur Debatte: Darf man in der Literatur schildern, was man im Leben nicht mal denken darf? (Männliche) Schriftsteller, so der Verdacht, benutzen die Literatur, um in deren Schutz zweifelhaften Interessen nachzugehen. Knausgård antwortete auf Witt-Brattström mit einem großen Essay, in dem er Schweden zum "Land der Zyklopen" erklärt, in dem die Moral absoluten Vorrang vor der Kunst besitze.

Mats O. Svensson, der Student, hatte darauf bestanden, dass Äußerungen eines Schriftstellers im Fernsehen nicht dasselbe seien wie Äußerungen in einem Buch. "Stell dir vor", antwortete die Professorin, dass "sich zwei erfolgreiche Schriftstellerinnen im Fernsehen auf dem Sofa herumfläzen" und behaupteten, dass alle Frauen eigentlich das Geschlecht "von Dreizehnjährigen liebkosen wollen anstelle der erlaubten Hängesäcke". Diese "Kulturweiber" würden nie "als Genies gefeiert". Ob und wie das so ist, müsste am Text geklärt werden. Sicher aber ist, dass hier, gedeckt vom Feminismus, ein professorales Selbstbewusstsein auftritt, wie es der reaktionärste Ordinarius der alten Universität kaum hätte aufbringen können.

© SZ vom 23.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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