Kolumne Spurensuche:Die Gaffer

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Jennifer Aniston hasst Paparazzi. Ihr könnte die Barockmalerin Artemisia Gentileschi helfen.

Von Kia Vahland

Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen, die Menschen bewegen. Wir suchen in alten Filmen und Kunstwerken nach wiederkehrenden Motiven. Die Malerin Artemisia Gentileschi wehrt sich gegen Voyeure.

Jennifer Aniston reicht es. Boulevardjournalisten spekulierten ständig, ob sie schwanger sei oder zugenommen habe, schreibt die Schauspielerin in der Huffington Post. Das entwürdige nicht nur sie, sondern alle Frauen, weil es Weiblichkeit auf den Kinderwunsch und die Angst vor Fettpölsterchen reduziere. Der Moderator Jörg Kachelmann hat zwar nicht diese Sorgen, aber mediale Stalkerei und Schmähkritik ertrug auch er nicht und erstritt gerade vor Gericht eine hohe Entschädigung von der Bild-Zeitung, die intime Informationen preisgegeben hatte.

Wie unangenehm, ja brutal Voyeurismus sein kann, zeigt besonders eindringlich die römische Malerin und Künstlertochter Artemisia Gentileschi. Um 1610 malt sie eine Susanna im Bade, die von zwei alten Männern bedrängt wird. Das Motiv hatten ihre männlichen Malerkollegen zumeist genutzt, um einen weiblichen Akt in voller Schönheit zu zeigen. Wenn sie ein bisschen klüger waren, dachten sie noch über die Rolle des Bildbetrachters als dritten Voyeur nach. Gentileschi dagegen will wissen, wie es dem Opfer der Schaulust geht. Ihre Susanna ekelt sich sichtlich. Mit den Armen versucht sie, sich vor den gierigen Blicken zu schützen, doch das kann nicht gelingen. Die Alten sind schon über ihr, und sie gaffen nicht nur, sondern verlangen von Susanna auch noch, dies schweigend zu ertragen. So führt die erst 17-jährige Gentileschi einen doppelten Gewaltakt vor Augen: Nicht nur gedemütigt und angewidert wird das Opfer, es soll sich damit auch noch einverstanden erklären.

Wenig später wird die Künstlerin von einem Kollegen vergewaltigt und zieht gegen den Täter vor Gericht. Zeitlos bleibt ihr Aufruf, Gewalt zu benennen und das eigene Wohlbefinden als Wert zu erkennen und zu verteidigen. Es ist schlimm genug, wenn andere sich ein falsches Bild von einem machen - noch schlimmer ist es, dieses zu übernehmen. Jennifer Aniston hat sich vorgenommen, künftig in Ruhe einen Burger zu frühstücken, auch wenn Fotografen nachher auf ihre Bauchwölbung zielen.

© SZ vom 16.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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