Knabenchor:JS Bach und FC Bayern

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Beim Tölzer Knabenchor hat sich eine neue Leitung etabliert. Nun dirigiert Christian Fliegner den Chor erstmals im Herkulessaal

Von Michael Stallknecht

Vergesst Eure Lederhosen nicht!", ruft Christian Fliegner in den Saal, bevor er die Probe zum Weihnachtsoratorium beendet. Die Lederhosen braucht es für den Auftritt im Landtag in dieser Woche, Horst Seehofer möchte es traditionell. Daneben steht auch noch eine Fernsehaufzeichnung mit dem Bundespräsidenten an. Der Advent ist Großkampfzeit für Knabenchöre, mehr als 20 Auftritte bestreitet der Tölzer Knabenchor in diesem Dezember. Nicht eingerechnet die unzähligen solistischen Auftritte etwa in der "Zauberflöte", die an vielen Opernhäusern in und außerhalb Deutschlands fest in der Hand der Tölzer sind.

Der traditionelle Auftritt im Münchner Herkulessaal kurz vor Weihnachten gehört dabei auch für die Tölzer zu den wichtigsten. An diesem Sonntag wird Christian Fliegner dort erstmals Bachs "Weihnachtsoratorium" dirigieren, nachdem im Vorjahr noch der Gründer Gerhard Schmidt-Gaden Händels "Messias" dirigiert hatte. Es bezeichnet das Ende einer komplizierten Umbruchphase, in der rund um den Chor auch öffentlich viel Porzellan zerschlagen wurde. Fast 60 Jahre lang hatte Schmidt-Gaden den Chor geleitet, der aus einer Tölzer Pfadfindertruppe entstanden ist, aber schon lange in München probt. Der heute 79-Jährige hatte bereits Ralf Ludewig zu seinem Nachfolger bestellt, doch vor zwei Jahren zerstritten sich die beiden. Ludewig rief daraufhin den "Münchner Knabenchor" ins Leben, der inzwischen beachtliche eigene Engagements vorweisen kann. Zu den Gründen für den Streit wollen sich beide Seiten nicht mehr öffentlich äußern. Tatsache ist wohl, dass Ludewig das Repertoire stärker an die Moderne anpassen und mit den Kindern auch mal einen Popsong singen wollte - und dass Schmidt-Gaden nicht loslassen konnte. Nach dem unsanften Rausschmiss Ludewigs übernahm Schmidt-Gadens Tochter Barbara die Geschäftsführung. Bei der künstlerischen Leitung entschied man sich für eine Doppelspitze aus Christian Fliegner und Clemens Haudum, um die vielen Auftritte mit zwei Leitern abdecken zu können.

Nicht brav, aber gern traditionell: der Tölzer Knabenchor. (Foto: Tölzer Knabenchor)

Gerade Fliegner steht dabei in hohem Maße für Kontinuität. Als Kind gehörte er selbst zu den Starsolisten des Chors, sang weltweit Auftritt unter Dirigenten wie Claudio Abbado, Herbert von Karajan, James Levine oder Lorin Maazel. Seit 1992 ist er als Stimmbildner bei den Tölzern tätig. Bis heute nennt er Schmidt-Gaden einen "guten Geist", der gern auch weiterhin am Haus seine Methode an die Stimmbildner weitergeben solle. Die von ihm entwickelte Technik sei ja nicht nur Basis des typischen Tölzer Klangs, sondern auch dafür, dass Kinder dieses Alters schon solistisch singen könnten. Sieht man Fliegner beim Proben zu, bekommt man nicht den Eindruck von Drill. Er arbeitet mit ruhiger Hand, korrigiert freundlich, aber bestimmt die Aussprache oder die Intonation. Macht eines der Kinder einen Fehler, dann hebt er die Hand. Aber er reißt auch mal ein Witz. "Wir wollen keine Kinder, die gleich klingen", sagt Fliegner.

Wieweit er und sein Kollege Clemens Haudum eigene Akzente setzen werden, gilt es abzuwarten. Das Repertoire ist laut Fliegner in den vergangenen Jahren bereits vielfältiger geworden. Pünktlich zum Advent hat der Tölzer Knabenchor eine gemeinsame CD mit dem FC Bayern auf den Markt gebracht: Die Kicker erzählen Weihnachtsgeschichten, die Jungs singen Weihnachtslieder mit leicht fußballaffinen Texten. Die Tölzer, sagt Christian Fliegner etwas selbstironisch, seien eben "der FC Bayern unter den Knabenchören".

Der neue Dirigent Christian Fliegner war selbst einst ein Tölzer Knabe. (Foto: Tölzer Knabenchor)

Dass der Chor auch in Zukunft nicht nur Bach wird singen können, ist wohl schlichte Überlebensnotwendigkeit. Da die Tölzer nicht wie die meisten Knabenchöre in kirchlicher Trägerschaft sind, müssen sie einen Großteil der Kosten für die intensive Ausbildung selbst einsingen. Gleichzeitig hat es Vorteile, von der Kirche unabhängig zu sein: Weil die meisten kirchlichen Chöre mit einem Internatsleben verbunden sind, leiden viele unter Nachwuchsmangel. Bei den Tölzern, sagt Fliegner stolz, habe man allein 2016 schon wieder 120 Neuanmeldungen erhalten.

© SZ vom 17.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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