Klassikkolumne:Ein Gipfel im Massiv der Schubert-Aufnahmen

Lesezeit: 2 min

Der 34-jährige Bariton Andrè Schuen kommt aus den Bergen und erklimmt die Schubert-Höhen mit enormer Leichtigkeit.

Von Helmut Mauró

(Foto: Label)

Ein aussichtsreicher Gipfel im Massiv kaum zählbarer Schubert-Aufnahmen: der Bariton Andrè Schuen. Nicht nur der "Wanderer" (Avi-music) in Franz Schuberts gleichnamigem Lied kommt "vom Gebirge her", auch sein Stellvertreter auf der Konzertbühne, der 34-jährige Südtiroler Andrè Schuen, kommt von den Bergen, aus La Val im Gadertal, wo das rätoromanisch Ladinische seine Wurzeln hat. Dass ihn das Studium am Salzburger Mozarteum musikalisch stärker prägte als sein Heimatdorf, mag man vermuten. Denn natürlich verlangen die Lieder Schuberts eine hochartifiziell ausgebildete Stimme. Dass man bei diesem Sänger dennoch auf den Gedanken kommt, es könne ihm noch ein bodenständiges Zuhause anhaften, das er mit sich um die Welt trägt, kommt wohl daher, dass er so unangestrengt souverän, dennoch kraftvoll, und dabei vor allem so persönlich klingt, als sei jedes dieser Lieder der ureigenste Ausdruck seiner augenblicklichen Befindlichkeit. Das mag nun künstlich hervorgebracht sein oder ihm quasi natürlich anhaften - die wunderbare Wirkung ist die gleiche. Technisch gibt es so gut wie nichts auszusetzen an dieser Stimme, entscheidend ist aber die ausdruckstechnische Intelligenz, die überzogenen Affekt ebenso ausschließt wie frühromantisches Pathos, das heute meist peinlich berührt. Aber ignorieren oder dagegen ansingen kann man eben auch nicht. Schon die Gedichte für sich, und erst recht Schuberts Musik, verlangen ungeteilte Empathie und eine emotionale Offenheit, die in Zeiten emotionalen Taktierens - auf der Bühne wie im Leben - schwerfällt. Schuen geht einen der wenigen verbleibenden Wege; er setzt dort an, wo alles begann: beim Klang der Worte und Reime, der einen vagen Sinn trägt, schließlich mithilfe von Schuberts musikalischer Übersetzung und mehrdimensionaler Auffächerung und Neukomposition von Wort und Musik nun eine umfassende Bedeutung erreicht, die den Hörer vollkommen einnimmt. Ohne dass er genau sagen könnte, wie dies geschieht. Einen Rest dieses Geheimnisses umgibt auch Andrè Schuen und seinen kongenialen Klavierbegleiter Daniel Heide.

Halb so alt wie Andrè Schuen ist der schwedische Geiger Daniel Lozakovich, aber ebenso musikalisch. Dabei ist die Aufnahme von Johann Sebastian Bachs Violinkonzerten (DG) mit dem BR-Kammerorchester alles andere als spektakulär. Im Gegenteil, sie gehört zu einer Art Anti-Originalklangbewegung, die sich dagegen wehrt, Klangsprache entsprechend der gesprochenen und geschriebenen Wortsprache als zeitgebunden anzuerkennen. Stattdessen pflegt sie eine fiktiv-zeitlose Phänomenologie des Wohlklangs. Seltsamerweise geht das in der Musik. Man versteht große Musik offenbar in allen möglichen Anverwandlungen. Was immer besticht, ist schiere Musikalität. Das war schon beim anachronistischen Bach-Zugang Karl Richters so - anders als bei seinen Epigonen, und das ist auch bei Daniel Lozakovich so. Dabei wirkt er weniger frühreif als neugierig auf all das, was ihm durch die Musik noch wiederfahren wird. Das könnte eine sehr spannende Entwicklung werden. Bis dahin ist diese Bach-Aufnahme viel mehr als nur Vertröstung, sie ist ein Versprechen.

(Foto: Label)

Es war Bachs Lieblingsinstrument, und doch hört man seine Werke selten darauf. Das Clavichord, bei dem ein Holzsteg die Seite direkt anschlägt, sodass man ein kleines Vibrato erwirken kann, eine sogenannte "Bebung", ist ein so gut wie ausgestorbenes Tasteninstrument. Es ist einfach zu leise für den Konzertsaal und zu empfindlich für den Dauergebrauch. Der Clavichordist Menno van Delft sieht das gar nicht so und hat nun die Partiten BWV 825 - 830 auf diesem Instrument eingespielt (resonus). Irritierend perfekt, muss man sagen, denn die Studiosituation erlaubt es, die Beschränktheit der Klangentfaltung nahezu aufzuheben und ein geradezu voluminöses Tasteninstrument herbeizuzaubern. Dennoch bleiben die Beschränkungen für den Spieler erhalten, und es gilt, zwischen allzu vorsichtiger Annäherung und desaströser Robustheit jene Mitte zu finden, in der Bachs Tastenmusik plötzlich so räumlich-intim aufschimmert, dass man sich endlich auf die Musik konzentriert und weniger auf die Tasten.

Gleiches passiert Miklós Spányi am Tangentenflügel - einer Kreuzung aus Clavichord, Cembalo und Hammerklavier. Mit seiner bravourös aufgenommenen 36. Folge des pianistischen Gesamtwerks von Carl Philipp Emanuel Bach (BIS) hat Spányi das Tangentialpianistentum auf ein neues Level gehoben.

Helmut Mauró

© SZ vom 10.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: