Klassikkolumne:Der Mozart-Philosoph

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Der junge, südafrikanische Pianist Kristian Bezuidenhout hat sein Großprojekt vollendet: die Einspielung von Mozarts für Klavier solo komponierten Stücken. Das Ergebnis ist ein Triumph. Er übertrifft damit selbst den legendären Mozart-Spieler Friedrich Gulda.

Von Reinhard J. Brembeck

Diese herrlich langsamen Sätze! Der Hörer hat dabei den Eindruck, dass er einen Ausflug ins Paradies unternimmt, wo sich vor seinen Ohren Irdisches mit Göttlichem vermengt. Nur sechs Jahre hat Kristian Bezuidenhout gebraucht, um seine Herrschaft im Reich Mozarts als absolut zu begründen. Nach sieben Alben, die Mozarts seit 1774 für Klavier solo komponierte Stücke versammeln - der Komponist war da 18 Jahre alt -, ist Bezuidenhout zu Ende gekommen mit einem Projekt, das von Anfang an bejubelt wurde und heute als singuläre Großtat gilt.

(Foto: sz)

Das waren aber auch sechs Jahre, in denen der 1979 in Südafrika geborene Pianist zu einem ganz großen Musiker heranreifte. Seine Entwicklung ist schon an den Coverfotos der CDs ablesbar: Bezuidenhout verändert sich da von einer runden Schubert-Erscheinung über einen strengen Asketen hin zum entschlossenen, wenn auch versonnenen Musikphilosophen.

Vergleicht man das erste Stück auf diesen CDs, die in Verzweiflung zerspellende c-Moll-Fantasie von 1786, mit dem letzten auf dem gerade erschienenen Doppelalbum, mit der 1789 entstandenen D-Dur-Sonate, dann spielt da zwar unüberhörbar derselbe Pianist, der schon zu Beginn eine Vorliebe für feinste Temposchwankungen, frühromantische Traumreiche und sehnsüchtige Nachdenklichkeit zeigte. Aber auf der letzten CD wirkt sein Spiel organischer und gelassener, der Klangfarbenreichtum ist noch größer. Wenn er, wie immer überraschend, in Mozarts Höllen blickt, dann wirkt es jetzt apokalyptisch.

(Foto: sz)

Bezuidenhout ist zudem einer der seltenen Musiker, bei denen die Ruhe der langsamen Sätze genauso überwältigend stark wirkt wie die Brillanz der schnellen Stücke. Weshalb bei ihm die Sonaten - eine Rarität! - tatsächlich als organisches Ganzes daherkommen, in dem es keine schwachen oder uninteressanten Momente gibt. Vor Bezuidenhout begegnete man diesen Sonaten mit leichten Vorbehalten. Jetzt muss man erkennen, dass diese Vorbehalte nur Vorurteile waren, die daraus resultierten, dass sich noch nie jemand so intensiv mit ihnen auseinandergesetzt hat wie Bezuidenhout.

(Foto: sz)

Dass er nicht nur die Sonaten, sondern auch die Variationen, Rondos, Adagios, Fantasien und Kuriosa wie Suite, Gigue, Präludien und Trauermarsch spielt, zudem nicht in chronologischer Folge, sondern zu jeweils stimmigen Programmen angeordnet, zeigt dann, wie wenig Mozart geneigt war, nur die Tradition fortzusetzen. Das machte er auch, ohne aber aufs Experiment zu verzichten. Gerade die Auseinandersetzung mit Bach und dessen Polyphonie brachte den anfangs noch dem Gefälligen ergebenen Mozart dazu, anspruchsvollere Musik zu schreiben, die aber nie des Komponisten Anspruch aufgab, selbst für die oberflächlichsten Hörer eingängig zu sein.

Die Aula der Universität in Salzburg ist ein funktional kahler Raum. Hier spielt Bezuidenhout 2014 bei der Mozartwoche dessen Klaviermusik. Die Erscheinung des Musikers ist die eines braven Musikprofessors. Mit den Noten in der Hand und akkurat wie ein Buchhalter geht er ans Klavier und spielt dann so verträumt, als würde er daheim üben.

Ein Jahr später, in der Münchner Allerheiligenhofkirche, der Raum ist auratischer als die Salzburger Aula, dann das gleiche Bild. Auf dem Programm steht das riesige h-Moll-Adagio, eine grausame Seelenerkundung, das die Erfahrung mit Bachs Kontrapunktik dazu nutzt, die Gräuel der Welt besonders nachdrücklich zu beschreiben. Live wirkt die Aufführung noch erschreckender und existenzialistischer als auf CD. Wie Bezuidenhout die Coda in den Abgrund verschleppt, das erinnert an den Schluss von Mahlers Neunte. Nur dass Mozart sehr viel weniger Aufwand betreibt als der Jüngere.

Ähnliches hatte schon Charles Rosen gezeigt, als er auf einer LP nach Schuberts apokalyptischer A-Dur-Sonate das a-Moll-Rondo Mozarts folgen ließ. Auch hier stellt sich das Erschrecken ein über einen Komponisten, der tiefer in die Abgründe der Welt blickte als Schubert und Mahler, diese Großmeister in Sachen Hölle.

Friedrich Gulda war einer der besten Mozart-Spieler vor Bezuidenhout. Gleich zu Beginn seiner Karriere, in den Vierzigerjahren, hat er dessen letzte, die oben erwähnte D-Dur-Sonate aufgenommen: drängend, ganz der Kälte und Härte der Konstruktion ergeben. Bezuidenhout vertritt eine ähnlich schonungslose Sicht auf diese Komposition. Allerdings bietet das Hammerklavier dann eben doch noch mehr Farben als sein moderner Bruder, zudem bereichern Bezuidenhouts frühromantische Fantasie und seine leidenschaftliche Liebe zur Freiheit die Musik um eine Welt, von der früher in Bezug auf Mozart niemand zu träumen wagte.

© SZ vom 08.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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