Klassikkolume:Russische Musik

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Pianistin Ruth Laredo spielt Rachmaninow. CDs des legendären Pianisten A. Sofronitsky; und Geiger Linus Roth mit Solosonaten von M. Weinberg.

Von Reinhard Brembeck

Russische Musik wurde in Deutschland, anders als in Frankreich und England, lange Zeit nicht so richtig ernst genommen. So waren es eher Interpreten als Komponisten, die die Neugier der Deutschen auf die ihnen so fremde Musikkultur lenkten: der Cellist Mstislaw Rostropowitsch und der Geiger David Oistrach, dann die Pianisten Emil Gilels und Svjatoslaw Richter, schließlich der Geiger Gidon Kremer sowie all die jüngeren Musiker bis hin zu Daniil Trifonov, der derzeit als Klavierübergott Furore macht.

Mit diesen Interpreten aber wurde auch die russische Musik bekannter, ein gerade einmal 200 Jahre umfassendes Repertoire, das bis heute im Spannungsfeld zwischen zentraleuropäischer Klassik, russischer Folklore und slawischer Kirchenmusik befangen ist. In dieser Brüchigkeit, in diesem Vagieren zwischen den Stilen liegt sein großer Reiz, der es aber Puristen, die in Deutschland nicht gerade selten sind, nicht ganz leicht macht, sich auf diese deshalb nie von Spannungen und Konflikten freie Musik einzulassen.

Weshalb es auch russische Komponisten, die eine starke Westbindung oder einen Großteil ihrer Karriere im Westen machten, erst einmal einfacher hatten, hierzulande Gehör zu finden. Das gilt für Peter Tschaikowsky genauso wie für Sergej Rachmaninow, Igor Strawinsky, Sergei Prokofjew und Alfred Schnittke. Allerdings wurden die genannten ohne Ausnahme immer auch als Popmusiker im Klassikgewande verdächtig - was viel über den deutschen Musikgeschmack aussagt, der nie frei war von einem chauvinistischen Dünkel.

Gerade Rachmaninow hat es in dieser Hinsicht bis heute immer schwer. Fortschrittler sehen ihn kritisch, Bauchmusikanhänger sind mit ihm selig. Er selbst war ein klassizistisch strenger Pianist, der die wahnwitzigen technischen Anforderungen seiner Stücke mit frappanter Leichtigkeit und eleganter Klangphantasie in Musik übersetzte. Seine späten Aufnahmen der vier Klavierkonzerte belegen das.

Schwerer hat es, abgesehen von dem legendären cis-Moll-Prélude, sein Klaviersolowerk. Das ist in seiner Gänze selbst in Pianistenkreisen nicht so recht bekannt. Aber gerade hier stellt Rachmaninow seine Einsamkeit und Verletzlichkeit völlig schutzlos aus.

Zumindest ist das der Eindruck, den die überhaupt erste Gesamteinspielung dieser Solostücke vermittelt, Sony hat sie gerade als 5-CD-Box wiederveröffentlicht, die Ruth Laredo schon während der Siebzigerjahre erstellte - allerdings nicht in Moskau oder Berlin, sondern in New York. Schon Ruth Laredos aus Deutschland emigrierter Lehrer Rudolf Serkin war bezeichnenderweise wenig von ihrem Faible für diesen Komponisten begeistert, der Hörer kann es heute um so mehr sein. Denn Laredo findet den Punkt, an dem das Irrlichternde, leicht Sadistische und Nachtdunkle der Musik zwar immer spürbar ist, aber immer auch Rachmaninows Bemühungen hörbar bleiben, diese Abgründe und Gefährdungen zu dominieren, also in der Form zu bändigen. Am aufregendsten gelingt das in den beiden Zyklen der "Études-tableaux", dem kompositorisch ausgefallenen Kernstück dieses Repertoires.

Ruth Laredo hat sich aber auch für einen anderen lange vernachlässigten russischen Klavierkomponisten stark gemacht, für Alexander Skrjabin. Dessen Schwiegersohn hieß übrigens Vladimir Sofronitsky, der seinen Schwiegervater allerdings nie spielen gehört haben soll. Trotzdem soll Sofronitsky - er wird als Klavierlegende verehrt und war für Svjatoslaw Richter ein Gott - wie Skrjabin gespielt haben. Wie das klingt, bezeugen fünf live in Moskau mitgeschnittene Konzerte aus den letzten Jahren des 1961 gestorbenen Pianisten. Da sind fünf Skrjabin-Sonaten zu hören auch Schumann, Chopin, Schostakowitsch, Prokofjew. Bei Sofronitsky vergisst man jeden Gedanken ans Klavier, er ist ein Nur-Musiker, der wie ein Zwillingsbruder der Komponisten allwissend und stets bezaubernd durch deren Werke führt (Melodija).

Lange Zeit noch unbekannter als Skrjabin war der vor den Nazis aus Polen geflohene und bis zu seinem Tod in Moskau lebende Mieczysław Weinberg (1906-1975). Weinberg wird derzeit im großen Stil entdeckt, Gidon Kremer macht sich seit Jahren für ihn stark. Und sein Geigerkollege Linus Roth spielt sämtliche Violinwerke Weinbergs ein. Jetzt hat er die drei Solo-Sonaten herausgebracht, groß ausgreifende Stücke, die das Zeug haben, neben den häufig gespielten Soli von Ysaÿe und vielleicht sogar der Sonate von Bartók bestehen zu können. Es sind Stücke, die das zwischen Verzweiflung und Glücksversprechen angesiedelte Hadern und Ringen eines Einsamen in feindlicher Umgebung dokumentieren. Was besonders in der fast halbstündigen und zudem einsätzigen dritten Sonate unüberhörbar ist. (Challenge).

© SZ vom 28.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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