Klassik:Traumpaar

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Die Münchner Geigerin Julia Fischer und der russische Pianist Igor Levit sind fast gleich alt - sich künstlerisch durchaus nicht ähnlich. Jetzt versuchen sie sich trotzdem als Duo an Beethovens Violinsonaten.

Von WOLFGANG SCHREIBER

"Es ist ein sehr langer Prozess, bis man sich auf der Bühne so gut versteht - bis man sozusagen eine Person mit zwei Körpern ist." Geht es auch viel schneller? In ihrer wöchentlichen BR-Klassik-Kolumne "Geigenkasten" hat die Geigerin Julia Fischer einmal erklärt, wie sie sich die Arbeit mit dem Pianisten vorstellt, der sie am Klavier begleitet. Sie ist ja selbst auch noch Pianistin . . . Das Ideal lautet wie in jeder Partnerschaft "sich blind verstehen". Fischer und ihr Pianist Igor Levit, die gemeinsam erst wenige Male öffentlich musizierten, lassen sich jetzt auf ein spektakuläres Projekt ein, den Zyklus der zehn Violinsonaten von Ludwig van Beethoven. Verteilt auf drei Recitals wird diese Erkundung in Berlin und München, Zürich, Paris und London zu erleben sein. Der Start war jetzt in Berlin mit den ersten vier Sonaten - an diesem Sonntag folgt in München dasselbe Programm im Prinzregententheater.

Viel unterschiedlicher nach Herkunft und Karriere, in ihrem ganzen künstlerischen Habitus, können zwei fast gleichaltrige Musiker der jüngeren Generation kaum sein. Aber Julia Fischer und Igor Levit lassen erkennen, so wie sie da im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie respektvoll, am Ende herzlich miteinander umgehen, dass völliger musikalischer Einklang ihr hohes, freilich schwer zu erreichendes Ziel ist. Die 32-jährige Münchnerin gehört seit vielen Jahren zur Weltelite der Geiger. Der russische Pianist aus Nischni Nowgorod, Jahrgang 1983, als Achtjähriger mit der Familie in Hannover gelandet und dort ausgebildet, arbeitet mit Selbstgewissheit und Sensibilität daran, im Olymp der Pianisten heimisch zu werden. Gerade erschien sein von der Kritik gefeiertes drittes Album, mit den Monumentalvariationen von Bach, Beethoven und Rzewski (siehe SZ vom 7. 11.).

Auf dem Titelblatt seines Opus 12, der drei 1797 / 98 entstandenen Violinsonaten, hat der 27-jährige Komponist und Pianist Beethoven vermerken lassen: "Tre Sonate per il Clavicembalo o Forte-Piano con un Violino", Klaviersonaten mit begleitender Violine also. Die Führerrolle dem Pianisten? Das entsprach der kammermusikalischen Konvention der Zeit, auch Beethovens Vorbild Mozart folgte ihr. Igor Levit ist tatsächlich der starke Klavierpartner schon im Kopfsatz von Beethovens spielfreudig-frischer erster Sonate in D-Dur. Entschiedener Zugriff, Dialogfähigkeit, Lust an instrumentaler Zuspitzung, Auseinandersetzung des Klaviers mit der Geige - das sind die Stärken von Levits Duomusizieren von Beginn an. Und dass schon der junge Beethoven die Überraschungen, die verblüffenden Wechsel in Rhythmus und Tonart, dass er die Ausbrüche liebt, die scharf akzentuierten Querschläger, auch den eleganten Witz wie in der A-Dur-Sonate, das alles wird hier genauso von der Geigerin realisiert.

Doch Julia Fischer will selbst die scheinbar nebensächlichsten Begleitfiguren, die lapidaren melodischen Einwürfe nie geigerisch "ausschlachten", ihr Spiel bleibt gezügelt, zum Klavier hin souverän ausbalanciert. Ihre musikalischen Impulse kommen mit Understatement ins Spiel. Wobei das Pianoforte schon allein mit seiner basslastigen Tonstärke oft in den Vordergrund drängt - um im "Adagio con molt'espressione" der Es-Dur-Sonate, einem der tiefsinnigsten Gedanken des jungen Beethoven, der Geige ihren Glanz des Cantabile zu lassen. Mit der Ruhe ihrer Bogenhand lässt Julia Fischer diskret den wunderbaren Gesang aufblühen.

Fischer und Levit halten die Balance von Spiel und Ausdruck

Der Geigerin wird manchmal attestiert, ihr Musizieren wirke eher kühl, mehr kontrolliert als emotional aufgeladen. Wahr ist, dass Julia Fischer, gerade bei Beethovens Violinsonaten, zu Recht eine gewisse Objektivität den Notentexten gegenüber anstrebt, dass sie aber der klingenden Musik selbst ihre ganze Empathie, die Leidenschaft einer totalen, durch nichts Äußerliches zu trübenden Identifikationsbereitschaft entgegenbringt. Persönliches Empfinden, ohne jede Virtuosenattitüde. Ihr musikalisches Gehör und die Leichtigkeit ihrer Tonerzeugung erscheinen phänomenal, ihre Ausdrucksmittel, etwa im Bereich des Pianissimo-Spiels oder der Vibrato-Nuancen, sind scheinbar unbegrenzt. Und mit dem Spiel des energisch, so abgestuft wie virtuos pointierenden Klavierpartners Igor Levit verbindet sie eine spannungsvolle, immer wieder geschmeidige Einmütigkeit des Atmens, Phrasierens und Nuancierens, der musikalischen "Klangrede".

Mit der herberen Sprache der a-Moll-Sonate op. 23 steigert sich das Konzertieren mit dem Pianisten ins Dramatische. Die Konfrontationen musikalischer Motive und Klangbewegungen sind schroffer, und doch halten Fischer und Levit die Balance der Formproportionen, das Gleichgewicht von Spiel und existenziellem Ausdruck. Die Schubert-Zugabe lässt erkennen, wie sich alles Melodische nach Beethoven romantisch aufladen konnte.

Ein neues, zukunftsträchtiges Duopaar zweier virtuoser Solisten? Die Interpretationsgeschichte kennt das legendäre Kammermusizieren von Arthur Grumiaux und Clara Haskil oder David Oistrach und Svjatoslav Richter. Gidon Kremer und Martha Argerich brachten ihr geistvolles Beethoven-Spiel vor über zwanzig Jahren auf Schallplatten heraus. Mit ihnen verglichen mag das musikalische Einvernehmen Julia Fischers und Igor Levits beileibe noch nicht gefestigt erscheinen. Aber anziehend, vielversprechend ist dies Musizieren zweier starker Persönlichkeiten. Zusammen plädieren sie für die Geistesgegenwart des Aufeinander-Hörens, für die gemeinsam empfundene Musikalität. Und, mit einer ihr Musizieren tragenden feinmotorischen "Sprachfähigkeit", für den hochfliegenden künstlerischen Gestaltungswillen.

© SZ vom 13.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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