Klassik:Rasender Geistertanz

Der Chefdirigent der Münchner Philharmoniker Gergiev und die chinesische Pianistin Yuja Wang spielten mit den Wiener Philharmonikern im Münchner Gasteig Mozarts Jenamy-Konzert.

Von MICHAEL STALLKNECHT

"Zu schön für unsere Ohren und gewaltig viel Noten, lieber Mozart", soll Kaiser Joseph II. nach der "Entführung aus dem Serail" zum Komponisten derselben gesagt haben. Bei Yuja Wang musste man eher fürchten, Mozart möge für sie zu wenige Noten geschrieben haben. Schließlich ist die junge chinesische Pianistin bisher vor allem für ihre Interpretationen der extremeren Virtuosenliteratur bekannt. Die Klavierkonzerte Rachmaninows, Prokofjews oder Ravels spielt sie mit einer Gelassenheit, die die technischen Widerstände dieser Musik fast schon konterkariert.

Dass Wang für ihren ersten gemeinsamen Auftritt mit den Wiener Philharmonikern das Es-Dur-Konzert KV 271 wählte, ist da nicht unklug. Das noch immer gern fälschlich als "Jeunehomme"-Konzert ausgewiesene Werk (es ist für eine Pianistin namens Jenamy komponiert) gehört noch nicht zu den großen Konzerten aus Mozarts Wiener Jahren, sondern schließt mit einem genialischen Feuerwerk und für die Epoche ungewöhnlicher Virtuosität die Salzburger Zeit ab. Und in der Tat schien es nun in der Münchner Philharmonie, als wähle der sympathisch hinter seiner Solistin zurücktretende Dirigent Valery Gergiev in den Ecksätzen eigens für sie besonders rasche Tempi. Da überzeugt Wangs Fähigkeit, noch in den rauschendsten Klangkaskaden zu differenzieren. Mit ihrem sensiblen, aber immer pointierten Anschlag artikuliert sie die Phrasen genau durch und schattiert sie dynamisch fein ab. Wie im Vorübergehen markiert sie dabei mal hier eine Molleintrübung, mal dort einen ungewöhnlichen Bass.

Yuja Wang überzeugt bei Mozart durch die Natürlichkeit, mit der sie feine Nuancen schafft

Das wirkt durchdacht, ohne des Guten zu viel zu werden - wie überhaupt die Natürlichkeit überzeugt, mit der sich Wang Mozart nähert. Nur im langsamen Satz bekommt man denn doch den Eindruck, es seien ihr etwas zu wenig der Noten. Denn da gibt sie dem Melodischen einen Gestaltungsüberdruck mit, der es rasch an die Grenze des Sentimentalen bringt, es "zu schön für unsere Ohren" werden lässt. Weshalb Wang denn auch zur Zugabe Mozarts "Rondo alla Turca" in Nachfolge ihrer Kollegen Arcadi Volodos und Fazil Say wieder mit reichlich Nebennoten spickt.

Ein ausgesprochener Abend des Schönklangs blieb das Konzert dennoch. Dass die Wiener Philharmoniker Mozart mit viel Vibrato und oft eher legato spielen, daran muss man sich in Zeiten der historischen Aufführungspraxis erst einmal wieder gewöhnen. Es hätte aber gelingen können, wenn Valery Gergiev nicht mit unscharfer Schlagtechnik für einige diffuse Zonen gesorgt hätte. Doch darf man es aus Münchner Perspektive vielleicht als Referenz begreifen, dass der Chefdirigent der Münchner Philharmoniker eine weltweite Tournee mit den Wiener Philharmonikern nun ausgerechnet in München begann.

Bei Peter Tschaikowskys Manfred-Symphonie im zweiten Teil des Abends jedenfalls ließ sich das Klangbad durchaus genießen. Die Wiener Philharmoniker spielten sie in Riesenbesetzung mit acht Kontrabässen, was dem Klang eine tiefdunkle Grundierung verschafft. Wie von selbst entstehen dann die nachtschwarzen Welten, in die Lord Byron in dem der Symphonie zugrunde liegenden dramatischen Gedicht seinen Titelhelden Manfred führt. Zwar hätte auch hier der zweite Satz ein wenig mehr Präzision vertragen, dafür aber blüht im Thema von Manfreds entschwundener Geliebter Astarte der Streicherklang der Wiener in seiner herrlichen Wärme auf. Gergiev lässt ihm denn auch viel Raum, geht die hochromantische Fantasie in epischer Breite an.

Das läuft mehr auf eine starke Folge atmosphärischer Klangbilder als auf eine dynamisch sich entwickelnde Form hinaus. Doch Gergiev gibt angenehmerweise nirgends noch die Extraportion Pathos obendrauf, die ein sowieso pathetisches Werk kippen lassen könnte. Und im vierten Satz setzt er weniger auf den möglichen Überwältigungseffekt des rasenden Geistertanzes, als auf die Orgel, die am Schluss von der Empore der Philharmonie Manfreds Erlösung verkündet.

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