Klassik:Mehr Ping als Pong

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Valery Gergiev hat mit Bruckners Erster und Dritter Sinfonie die Saison der Münchner Philharmoniker eröffnet. Er nahm es sehr leicht.

Von Reinhard J. Brembeck

Dass Valery Gergiev ein grandioser Bruckner-Dirigent sein kann, hat er in der vergangenen Spielzeit mit einer beeindruckenden Aufführung der Neunten bewiesen, mit naturgewaltigen Ausbrüchen, schroffen Klangverkantungen, großem Atem und existenzialistischen Grundsatzdebatten. Das alles machte neugierig auf das Bruckner-Programm, mit dem Gergiev jetzt seine Saison mit den Münchner Philharmonikern im städtischen Gasteig eröffnete.

Wobei Gergiev, dieser so maß- wie rastlose Musiker, gleich zwei kaum im Konzertsaal zu hörende Riesensinfonien kombinierte, die Erstfassung der Ersten und die Letztfassung der Dritten. Eigentlich genügt schon einer dieser Einstünder, um den Hörer emotional völlig zu erschöpfen. Bruckner erarbeitet sich in disen Stücken erst nach und nach seine Eigenheiten. Er bläst die einst intime Sonatenform ins Gigantomanische auf und füllt sie mit Riesenklangwänden, in die er rätselhaft geometrische Motive als Chiffren eingräbt.

Das Gigantische und die Klangballungen sind für einen Impulsmusiker wie Gergiev überhaupt kein Problem. Und die Philharmoniker steuern ein berauschendes Maß an Dunkelheiten, Wärme und Sogkraft bei. Doch genügt das auch? Das Publikum jedenfalls wirkt recht reserviert, entschließt sich bald zum Aufbruch. Vielleicht auch, weil Gergiev ein wenig zu nassforsch zu Werke geht.

Das Blech lässt er vorlaut tönen, die Hörner wirken dagegen wie ein ferner Echochor, die oft ausgiebig beschäftigten Fagotte sind manchmal nur beim Spielen zu sehen, nicht aber zu hören. Bruckner liebt Ping-Pong-Effekte, bei denen sich verschiedene Instrumente Motive zu spielen. Immer wieder aber ist nur das Ping zu hören, während das Pong im Breitwandsound ertrinkt.

Nun sind beide Stücke keine absolut gelungenen Meisterwerke, die ein Orchester einfach vom Blatt zu spielen braucht, um sein Publikum zu überwältigen. Immer wieder ist nicht klar, ob gewisse Passagen vielleicht etwas ungelenk komponiert sind oder ob der für intellektuelle Tüfteleien aufgeschlossene Bruckner da besonders kühne Spekulationen wagt. In keinem Fall darf ein Dirigent an solchen Stellen bloß texttreu und neutral agieren. Er muss sie analysieren, das (mutmaßlich) Gemeinte extrahieren und dann im Klang realisieren.

Solch ein Interpretieren geht weit über ein zupackend emotionales Musizieren hinaus, das Gergiev so traumwandlerisch wie hinreißend beherrscht. Immer wenn sich Musik - wie eben in vielen Passagen bei Bruckner - auf intellektuelle Prozeduren jenseits des gängigen Musikantengefühls einlassen muss, wirkt Gergiev etwas hilflos. Das ist die einzige Schwachstelle dieses außergewöhnlichen Dirigenten.

© SZ vom 23.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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