Klassik:Forstbewegung

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Der Dirigent Simon Rattle und der Regisseur Peter Sellars bringen gern Opern in den Konzertsaal, in halbszenischen Aufführungen. In Berlin begeistern sie mit Leoš Janáčeks "Die Abenteuer der Füchsin Schlaukopf".

Von Wolfgang Schreiber

Das Musiktheater sucht sich jetzt öfters Orte abseits der Opernhäuser. Theatermacher ergründen "halbszenische" Perspektiven zu Oratorien oder Opern, wie jetzt zwei Amerikaner in Berlin. Robert Wilson hat sich im neuen Boulez-Saal Martin Luther vorgeknöpft, in einer Performance zu vier Bach-Motetten, mit dem mönchisch gekleideten Berliner Rundfunkchor und stylisch verformten Darstellern und Pantomimen: "Luther dancing with the Gods". Wilson arbeitet weihevoll bis verquast sein Religionsproblem ab.

Peter Sellars hingegen gelang sein Meisterstück 2010: Bachs "Matthäuspassion" in emphatischen Bewegungsaktionen der Musiker und Sänger. Jetzt haben er und Dirigent Simon Rattle - nach Debussys "Pelléas" und Ligetis "Grand Macabre" - die "halbszenischen" Interpretationen in Berlins Philharmonie mit der Oper "Die Abenteuer der Füchsin Schlaukopf" fortgesetzt, dem tiefgründigen Spätwerk des großen mährischen Komponisten Leoš Janáček.

Im Konzertsaal Oper vorzuführen, versteht Sellars als Appell: "Da muss man ehrlich sein" - niemand versteckt sich im Bühnenbild. Vorn auf dem Podium vor dem Orchester liegt eine weiße Spielfläche, auf der Rattle dirigiert und Sänger in Schwarz mit lebhaftester Sinnfälligkeit ihre Gefühle und Konflikte ausspielen. Chorgruppen greifen aus dem Saal ein. Mehr Illusion braucht eine Oper nicht, in der Tiere als Menschen elementar aufeinanderprallen.

"Ich versenke mich ganz in die Natur, aber ich ertrinke nicht darin", schrieb Janáček. Die Atmosphäre der Wald-Oper ist zauberhaft, die Handlung grausam, die Tiere als Menschen leben in wechselseitiger Hingabe. Eine Füchsin flieht aus der Gefangenschaft des Försters und trifft im Wald den Fuchs, der sich unsterblich in sie verliebt. Lucy Crowe und Angela Denoke gelingt eine Liebesszene, die zum anrührenden Höhepunkt der Aufführung wird. Der Förster Gerald Finleys schwankt zwischen Machotum und Sehnsucht nach Liebe, Hanno Müller-Brachmann ist der brutale Wilderer - alle Figuren füllen das Sinnbild vom Leben und seinen Exaltationen. Auf Monitoren nur scheinnaive Naturbilder. Sellars vertraut der Einfachheit und Kraft großer Emotionen, Rattle lässt Janáčeks Musik als Hymnus auf den ewigen Kreislauf von Leben und Tod triumphieren.

© SZ vom 17.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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