Klassik:Der Rückkehrer

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Seiji Ozawa dirigiert nicht einfach. Er schiebt und drängt die melodischen und rhythmischen Impulse mit dem ganzen Körper in die Orchestergruppen hinein. (Foto: imago/Kyodo News)

Der 80-jährige Seiji Ozawa, Japans erster Stardirigent, dirigierte wieder die Berliner Philharmoniker.

Von Wolfgang Schreiber

Seiji Ozawas war der erste Japaner, dem der Status des "Stardirigenten" angeheftet wurde. Und der ihn beibehielt. Vor sechs Jahren erkrankte er an Kehlkopfkrebs. Ozawas Rückkehr ans Dirigentenpult der Berliner Philharmoniker, wo er vor exakt fünfzig Jahren debütiert hatte, musste zum Ereignis werden. Prompt machte das Orchester den "Lieblingsschüler" Karajans jetzt zum Ehrenmitglied. Und der Achtzigjährige, die drahtige Gestalt mit der ergrauten wilden Hippie-Mähne, flitzt so frohgemut aufs Podium, als sei er dankbar dafür, dass er jetzt für Zubin Mehta, achtzig in drei Wochen, einspringen darf. Willkommen im Club der hochbetagt agilen Maestri, neben Bernard Haitink, Georges Prétre, Christoph von Dohnányi und Herbert Blomstedt!

Ozawa hatte zwei nicht ganz unbedeu-tende Lehrmeister: neben Herbert von Karajan Leonard Bernstein, dessen Assistent er wurde nach dem Koussewitzky-Wettbewerbssieg 1960. Seine Stationen waren Toronto, San Francisco und fast drei Jahrzehnte lang, bis 2002, Boston, wo das Symphony Orchestra unter Ozawa musikalische Flexibilität eroberte. Davon profitierte das von ihm 1984 in Japan gegründete, nach seinem Lehrer benannte Saito Kinen Orchestra. Von Boston ging Ozawa nach Wien, als Chefdirigent an die Staatsoper, die ihn künstlerisch unter Wert behandelte. Nach den vielen Absagen jetzt also die Rückkehr, mit aller Vorsicht, zu neuem Lebenswillen. Nur eine Konzerthälfte wollte er am Pult stehen.

Nie lag das symphonische Repertoire Ozawas im gängigen Klassik-Romantik-Fundus deutsch-österreichischer Prove-nienz, was die vielen Plattenaufnahmen belegen. Mozart und Beethoven, Schumann, Brahms und Bruckner überließ er medial den Europäern, die Mahler-Symphonien ausgenommen. Umso überraschender, dass der Klangsensualist russischer Spätromantik, der Magier Klassischer Moderne, nun in Berlin sich gleich zweifach zu Beethoven bekannte. Bemerkenswert, mit wie blitzender Erregung er die Egmont-Ouvertüre und die selten aufgeführte Chorfantasie dirigierte.

"Es gibt so viele Erfahrungen, so viele Freundschaften, so viel wunderbare Mu-sik", sagt Ozawa über seine Erfahrungen in Boston. Der Satz gilt für seine Rückkehr nach Berlin, zumal, wenn man seinen hochgespannten, ja quirligen Auftritt in der ausverkauften Philharmonie beobachtet, das erregbare Mienenspiel des fast schon wieder jugendlich wirkenden Dirigenten, der sich wie ein Kind über sein Konzert-Comeback zu freuen scheint. Und über Mozarts Serenade KV 361, die grandiose Gran Partita, mit der ein Bläserensemble der Philharmoniker luxuriös die erste Konzerthälfte bestritt.

Ozawa dirigiert im Grunde kaum mehr Tonzeichen, Takteinheiten, die Struktur der Musik, er schiebt und drängt die melodischen und rhythmischen Impulse mit dem ganzen Körper in die Orchestergruppen hinein, die seinen Akzenten inspiriert folgen, beschwört synkopische Überlagerungen. Er gleicht viel mehr einem Medium, das die Musik durch sich hindurchlässt, als einem akkuraten Orchesterleiter. Beethovens vom Menschheitsidealismus beflügelte Energien, mit denen er den Freiheitsdrang des Volkshelden Egmont dramatisch überhöht, gewinnt hier emphatisch Gestalt und Geist.

Dass Ozawa, der Pianist Peter Serkin und der Berliner Rundfunkchor (Gijs Leenaars) sich auf das "Gelegenheitswerk" der hochkuriosen Chorfantasie Op. 80 einlassen, die zu Beethovens meistverachteten Stücken gezählt wird, erscheint exzellent. Serkin stanzt die Anfangsimprovisationen mit stählerner Nervosität in den Flügel, Ozawa dirigiert die folgenden Variationen und den finalen Chorsatz einer humanistischen Liedbotschaft mit zauberhafter Hingabe. Die "Neunte" lässt von fern grüßen - und Ozawas Wiederkehr sollte möglichst bald erfolgen.

© SZ vom 11.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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